Jeder Dritte macht weltweit Überstunden
sar Frankfurt
Die klassische 40-Stunden-Arbeitswoche ist weltweit längst nicht die Norm: Jeder dritte Beschäftigte arbeitet mehr als 48 Stunden pro Woche, während etwa ein Fünftel der Menschen weniger als 35 Stunden pro Woche beruflich tätig ist. Das hat die International Labour Organization (ILO) für ihren am Freitag veröffentlichten Report „Working Time and Work-Life Balance Around the World“ ermittelt. Im globalen Durchschnitt ergibt sich daraus eine Wochenarbeitszeit von 43,9 Stunden. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2019 vor Ausbruch der Corona-Pandemie.
Die mit Abstand längsten Arbeitszeiten entfallen laut ILO auf Beschäftigte in den Regionen Südasien (49 Stunden) sowie Ostasien (48,8 Stunden). Die kürzeste durchschnittliche Wochenarbeitszeit haben Beschäftigte in der Region Nord-, Süd- und Westeuropa (37,2 Stunden) sowie in Nordamerika (37,9 Stunden).
Vorläufige Daten aus den Jahren 2020 und 2021 zeigen, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf die Beschäftigung hatte. So ist laut ILO der Anteil derer, die weniger als 35 Stunden in der Woche arbeiten, zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem zweiten Quartal 2020 deutlich angestiegen. Besonders stark zeigte sich das in Lateinamerika sowie in Nord-, Süd- und Westeuropa, wo beispielsweise in Deutschland viele Unternehmen das Instrument der Kurzarbeit nutzten. Der Effekt war allerdings zeitlich begrenzt: Bereits im vierten Quartal 2020 lag das Arbeitszeitniveau laut ILO wieder annähernd auf dem Niveau, das vor der Pandemie verzeichnet wurde.
Wunsch und Wirklichkeit
Bei vielen Beschäftigten stimmen Wunscharbeitszeit und Wirklichkeit allerdings nicht überein. Weltweit würden 38% der Männer lieber mehr Stunden arbeiten und dafür auch mehr Geld bekommen. Ihre Arbeitszeit bei weniger Einkommen reduzieren würden 7%. Die übrigen 55% würden, wenn sie die Wahl hätten, den aktuellen Arbeitsumfang beibehalten. Unter den Frauen würden 62% beim Status quo bleiben, 8% würden lieber weniger arbeiten und 30% aufstocken. Der Anreiz „Mehr Stunden für mehr Geld“ greift in etwas geringerem Umfang auch in Ländern mit vergleichsweise hohem Einkommensniveau: Dort würden immerhin noch 31% der Männer und 26% der Frauen ihre Arbeitszeit für mehr Einkommen ausdehnen.
Allerdings führen lange Arbeitszeiten vermehrt zu Konflikten im Privatleben. Mehr als die Hälfte der Überbeschäftigten weltweit erlebt es zumindest gelegentlich, dass berufliche Anforderungen ihrem Familienleben in die Quere kommen. Wer gut planbare und verlässliche Arbeitszeiten hat und zumindest in kleinerem Umfang über seine Dienstzeit bestimmen kann, schafft die Balance zwischen Arbeit und Privatleben aus naheliegenden Gründen besser als Beschäftigte, die auf Abruf oder im Schichtdienst tätig sind.
Fallen die gewünschte und die tatsächliche Arbeitszeit auseinander, kann dies für Unternehmen auf lange Sicht teuer werden, mahnt die ILO. So leide die Produktivität, während die Fehlerquote steige. Mitarbeiter fühlten sich ihrem Arbeitgeber weniger eng verbunden und seien eher bereit, eine neue Stelle anderswo anzutreten. Insbesondere bei Überbeschäftigung steige zudem das Risiko längerer Krankheitszeiten.
Die ILO rät daher zu mehr Flexibilität, um Arbeitszufriedenheit und Produktivität zu steigern. Ansätze wie eine Vier-Tage-Woche (siehe Kasten) werden zunehmend erprobt, derzeit beispielsweise von der italienischen Bank Intesa Sanpaolo oder einigen britischen Konzernen. Allerdings dürfe dies nicht dazu führen, dass Arbeitskräfte, die beispielsweise remote arbeiten, immer erreichbar sind, mahnt die Organisation. Es gebe ein „right to disconnect“.