Johnson tischt Gesundheitsabgabe auf
hip London
Der britische Premierminister Boris Johnson hat sich über das Wahlversprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, hinweggesetzt und eine Gesundheits- und Pflegeabgabe vorgeschlagen. „Die weltweite Pandemie stand auch nicht in unserem Wahlprogramm“, lautete seine Antwort auf entsprechende Vorwürfe. Zudem kündigte Arbeits- und Rentenministerin Therese Coffey an, das sogenannte „Triple Lock“ für ein Jahr auszusetzen. Dabei handelt es sich um das ebenfalls im Tory-Wahlprogramm enthaltene Versprechen, dass die staatliche Rente alljährlich um den höchsten von drei Werten steigen soll: Einkommensentwicklung, Inflation oder 2,5 %. Um eine Rentenerhöhung von um die 8 % abzuwenden, wurde nun entschieden, die Bezüge der Pensionäre lediglich im Einklang mit der Teuerungsrate steigen zu lassen.
Die erste neue Steuer seit Einführung der Mehrwertsteuer 1973 soll zunächst dazu beitragen, den während der Pandemie aufgelaufenen Behandlungsrückstand im öffentlichen Gesundheitswesen NHS (National Health Service) abzuarbeiten und in den Folgejahren die Missstände in der Altenpflege zu mildern. Sie wird sich auf 1,25 % der Einkommen von abhängig Beschäftigten, Selbständigen und Unternehmen belaufen. Auch arbeitende Pensionäre müssen diesen Beitrag leisten. Dividendeneinkommen werden mit einer zusätzlichen Steuer von 1,25 % belegt. Die Steuerquote im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt dadurch auf 35,5%. Das ist zwar der höchste Stand seit 1948, im Vergleich zu Ländern wie Deutschland oder Frankreich aber immer noch wenig.
„Trojanisches Pferd“
Schatzkanzler Rishi Sunak zufolge schaffen die Pläne für die Pflege ein „erweitertes Sicherheitsnetz“. Bislang hätten die Betroffenen die finanziellen Risiken hoher Pflegekosten allein getragen, nun habe man sich als Land dazu entschlossen, einen größeren Teil davon gemeinsam zu schultern. „Das ist eine permanente neue Rolle für die Regierung“, sagte Sunak. „Keine Regierung will Steuern erhöhen müssen. Aber das sind außerordentliche Zeiten und wir sind mit außerordentlichen Umständen konfrontiert.“
Die Einnahmen aus der neuen Steuer werden auf 12 Mrd. Pfund pro Jahr geschätzt. In den kommenden drei Jahren sollen lediglich 5,4 Mrd. Pfund davon für die Pflege verwendet werden, 25 Mrd. gehen dagegen an NHS England und 5 Mrd. an die Gesundheitsdienste der Regionalregierungen in Nordirland, Schottland und Wales. Wenn die Ausgaben für die Pflege wie geplant schrittweise steigen sollen, müsste die Regierung an ihren Vorgaben für den NHS festhalten, heißt es in einer Stellungnahme des Institute for Fiscal Studies. „Die Geschichte lehrt, dass das unwahrscheinlich ist“, kommentiert die Denkfabrik die Pläne. „Stattdessen deutet die Erfahrung der letzten 40 Jahre darauf hin, dass die geplanten Ausgaben für den NHS fast immer aufgestockt werden. Wenn sich die Geschichte wiederholt, könnten die in dieser Woche verkündeten ‚vorübergehenden‘ Erhöhungen der Finanzierung des NHS die durch die Steuererhöhung aufgebrachten Mittel permanent auffressen.“ In der Unterhausdebatte zu der neuen Abgabe nannte der konservative Abgeordnete Jake Berry das Vorhaben ein „trojanisches Pferd“, in dem sich eine NHS-Steuer verberge. Er werde gegen die Regierung seiner Partei stimmen. Den Wettstreit mit Labour darum, wer mehr für das Gesundheitswesen übrig habe, könnten die Tories nur verlieren, mahnte Berry.