Jordan hält Plädoyer für Unabhängigkeit der Notenbanken
dz Zürich
Der Schweizer Notenbankchef Thomas Jordan wird kaum jemanden überrascht haben, als er bei einem Vortrag am Peterson Institute feststellte: „Mancherorts wird die Unabhängigkeit der Zentralbanken öffentlich in Frage gestellt.“
Mit der Trump-Administration war das Phänomen weltweit sichtbar geworden. Mit der Pandemie ist die Fragilität der geldpolitischen Unabhängigkeit überall greifbar geworden. Für eine wirksame Reaktion auf diese „höchst ungewöhnliche“ Wirtschaftskrise sei eine Kooperation zwischen Geld- und Fiskalpolitik notwendig und gerechtfertigt. „Aber jetzt müssen die Zentralbanken unmissverständlich signalisieren, dass diese Koordination kein erster Schritt hin zu einer Geldpolitik war, die von fiskalischen Notwendigkeiten dominiert wird“, sagte Jordan. Die Gefahr, dass genau dies nicht passiere, sei „akut“.
Jordan nannte verschiedene Ökonomen, die im ersten Corona-Jahr die Verteilung von Helikoptergeld oder die Verwendungen der Notenbankbilanz für konjunkturpolitische Zwecke angeregt hatten. Zu einem derartigen „Missbrauch der Geldpolitik“, wie Jordan sagte, ist es zumindest in den Industrieländern bislang aber noch nicht gekommen.
Hingegen könnten sich subtilere Formen, die er unter dem Begriff „fehlgeleitete Geldpolitik“ subsumiert, hier und dort bereits eingeschlichen haben. Die große Unsicherheit in den Notenbanken über die makroökonomischen Aussichten und strukturelle Trends wie eine mögliche Deglobalisierung unterminieren geldpolitische Gewissheiten und schaffen einen großen Entscheidungsspielraum. „Im gegenwärtigen Umfeld ist deshalb eine Tendenz hin zu einem leicht expansiven geldpolitischen Kurs möglicherweise durch politischen Druck bedingt, da die Unsicherheit einen Entscheid rechtfertigen kann, der den öffentlichen Finanzen in die Hände spielt“, vermutet Jordan.
Die Notenbanken hätten ein Motiv, ihre eigenen Analysen eher zu Gunsten einer expansiveren Geldpolitik zu interpretieren, um so in der kurzen Frist politischen Druck zu vermeiden, warnte Jordan. Sie könnten sich derzeit auch veranlasst sehen, das Vermeiden eines Konjunkturabschwungs mit den negativen Folgen für die vielfach hoch verschuldeten Ländern höher zu gewichten als das Risiko einer steigenden Inflation, weil gegenwärtig immer noch schwer zu erkennen sei, ob der Preisdruck dauerhafter oder eher vorübergehender Natur sei. Und schließlich sei es in der derzeit beobachteten Inflation nicht einfach, zwischen einmaligen Anpassungseffekten in der Produktion und langfristigen Nachfrageeffekten zu unterscheiden, was wiederum Gründe gegen eine ausreichende Straffung der Geldpolitik liefern könnte und den öffentlichen Finanzen zugutekäme.
Angesichts der höheren Staatsverschuldung und der strukturellen wirtschaftlichen Unsicherheit könnten sich die Zentralbanken in der aktuellen Wirtschaftslage in ihrem Urteil beeinflussen lassen, um Kritik aus der Politik zu vermeiden: „Die Zentralbanken sollten bei ihren ökonomischen Analysen Selbstkritik walten lassen. Sie müssen sich stets bewusst sein, dass sie der Politik einen Dienst erweisen, wenn sie bei der Straffung der Geldpolitik auf der vorsichtigen Seite bleiben“, mahnte Jordan. Die Übersetzung für Schweizer Politiker ist denkbar simpel: „Hände weg vom Schweizer Franken.“