Kaum Hoffnung auf den großen Wurf
Von Andreas Heitker, Prag
Auf den ersten Blick hatte Valdis Dombrovskis, der für Wirtschaft zuständige Vizepräsident der EU- Kommission, am Wochenende positive Botschaften im Gepäck. Nach den informellen Beratungen der EU-Finanzminister zur Reform der Haushalts- und Schuldenregeln sagte er in Prag, dass es bei den Prioritäten bereits eine „breite Übereinstimmung“ gebe. Die umstrittene Reform soll demnach die Staatsschulden in Europa wieder effektiv senken, den hohen Investitionsbedürfnissen in den Bereichen Klimaschutz, Digitalisierung und Sicherheit gerecht werden und die Komplexität der heutigen Regeln reduzieren und die Compliance verbessern.
Auf dieser Basis formulierte Dombrovskis schon einmal drei etwas genauere Ziele für das weitere Vorgehen: Ganz oben steht für die Kommission die Sicherung der Schuldentragfähigkeit. Dies erfordere fiskalische Anpassungen, Reformen und Investitionen, erläuterte Dombrovskis. „Diese drei Elemente sollten alle kombiniert werden, um eine realistische, schrittweise und nachhaltige Verringerung der öffentlichen Schuldenquoten zu erreichen.“
Zweitens ist die EU-Kommission angesichts der sehr unterschiedlichen Schuldenstände in den Mitgliedstaaten der Ansicht, dass es künftig keinen einheitlichen Ansatz mehr geben kann. Die Schuldenabbauziele sollen jeweils individuell verhandelt und gesetzt werden. Für die Mitgliedstaaten könne es so mehr Spielraum geben, jedoch innerhalb eines gemeinsamen Regelwerks, betonte Dombrovskis, der diese neue Flexibilität zugleich mit einer stärkeren Durchsetzung bei Nichteinhaltung der Regeln ergänzen will. Hierzu soll auch eine deutliche Vereinfachung der Regeln beitragen. Brüssel kann sich vorstellen, dass sich die Aufsicht künftig auf einen einzigen beobachtbaren Indikator konzentriert, wie etwa einen Richtwert für die Ausgaben.
So weit, so gut. Auf den zweiten Blick hatten die Botschaften von Dombrovskis in Prag aber etwas durchaus Ernüchterndes an sich, da der Kommissionsvize noch einmal deutlich offenbarte, wie wenig Fortschritte es in den letzten Monaten in der Debatte um die künftigen Fiskalregeln gegeben hat. Denn bereits im vergangenen Oktober hatte die EU-Kommission eine öffentliche Konsultation zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes initiiert.
Brüssel hält den Ball flach
Schon damals waren von der Brüsseler Behörde als Ziele eine Vereinfachung des Regelwerks, eine stärkere nationale Eigenverantwortung und eine bessere Durchsetzung der Regeln genannt worden.
Ende Oktober will die EU-Kommission nun ihre Vorstellungen zur Reform veröffentlichen. Aber schon jetzt ist klar, dass dann immer noch vieles im Allgemeinen bleiben wird. Denn auf konkrete Gesetzesvorschläge will die Kommission angesichts der weiterhin bestehenden Differenzen erst einmal verzichten. Lediglich eine „Kommunikation“ soll es nun aus Brüssel geben, eine „Orientierung“, beziehungsweise einen weiteren „Diskussionsvorschlag“, wie es jetzt heißt. Die Kommission hält den Ball bewusst flach – auch angesichts von weiter bestehenden internen Debatten, welche genauen Akzente denn zu setzen sind.
Zbynek Stanjura, der tschechische Finanzminister, der den Ecofin in Prag geleitet hat, brachte die Diskussionen im Anschluss auf den Punkt: „Was uns geeint hat, war: Die Haushaltsregeln müssen klar sein, und sie müssen umsetzbar und realistisch sein“, sagte er. Wie solle man denn sonst den Bürgern erklären, wieso es eine Obergrenze von 60% gebe, die Verschuldung in der Eurozone aktuell aber bei fast 100% liege?
Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner erkannte nach der Debatte eine allgemeine Unzufriedenheit in anderen Ländern darüber, wie es in den letzten Jahren mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt gelaufen ist. Trotzdem stellt auch er klar: „Die Vorstellungen über konkrete Reformen gehen noch auseinander. Hier ist noch Arbeit vor uns.“ Lindner warb in Prag noch einmal für eine „realistische neue Basis“ beim kurzfristigen Schuldenabbau – also den Abschied von der sogenannten 1/20-Regel –, verbunden aber mit mehr Konsequenz beim Erreichen der Mittelfristziele. Diese Ziele im präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspakts müssten künftig „auch wirklich eingehalten werden und nicht nur weitgehend“, betonte Lindner in Prag.
Auf individuell gesetzte Ziele beim Schuldenabbau, wie sie der EU-Kommission oder auch Euro-Schwergewichten wie Italien und Frankreich vorschweben, will sich Deutschland allerdings keinesfalls einlassen. Und bei der Frage der Rolle und möglicher Ausnahmen von Investitionen in den Regeln liegen die Vorstellungen noch weit auseinander.
Nachdem Lindner die deutschen Positionen schon Anfang August ausbuchstabiert vorgelegt hatte, will sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire in den nächsten Wochen mit einem eigenen Papier kontern. In Prag versuchte Le Maire aber dem Eindruck entgegenzutreten, er trete für die komplette Abschaffung der heutigen Fiskalregeln ein. Er kann sich eine Verständigung mit Lindner auf eine gemeinsame Position durchaus vorstellen, sieht Le Maire doch heute keine so grundsätzlich unversöhnlichen Positionen mehr zwischen Berlin und Paris wie noch zu Zeiten, als der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hieß.