„Keine Partei scheint in der Lage, eine absolute Mehrheit zu gewinnen“
Im Gespräch: Vincent Mortier, Amundi
„Keine Partei scheint in der Lage, eine absolute Mehrheit zu gewinnen“
Absolute Mehrheit für Linksblock bei der Parlamentswahl in Frankreich hätte wegen antikapitalistischem Programm Auswirkungen auf Märkte
wü Paris
Amundi-Chief-Investment-Officer Vincent Mortier erläutert im Gespräch die verschiedenen Szenarien des Wahlausgangs in Frankreich. In den USA hält er eine Wiederwahl Trumps für wahrscheinlich. Und weltweit erwartet er das Ende der Vorherrschaft des Dollar als alleiniger globaler Leitwährung.
Die Zunahme der geopolitischen Risiken steht zunehmend im Fokus von Investoren. Die Neuwahlen in Frankreich sorgen gerade im Ausland für Unsicherheit. Denn noch ist unklar, wie sie ausgehen. „Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass es ein Parlament ohne absolute Mehrheit gibt, mit dem RN als größter Gruppe“, sagt Amundi-Chief-Investment-Officer Vincent Mortier. Er geht davon aus, dass Präsident Emmanuel Macron dann eine Koalitionsregierung mit den Parteien vorschlagen wird, die er republikanisch nennt. Der RN und die Linksextremisten gehörten nicht dazu, erklärt er.
„Das würde bedeuten, dass die Sozialisten aus der linken Neuen Volksfront ausscheren.“ Dem Nouveau Front Populaire gehören neben ihnen auch die Grünen, die Kommunisten und La France Insoumise an. Die Sozialisten hätten jedoch mehr mit Macrons Partei gemein als mit den Linksextremen, meint Mortier. „Es ist eine historische Entscheidung für die Sozialisten.“ In Umfragen hat das Linksbündnis zuletzt zugelegt. Es bleibt jedoch hinter dem RN.
„Falls ein Kandidat des RN ohne absolute Mehrheit Premierminister werden sollte, wäre es sehr schwierig für diesen, sein Programm zu verwirklichen und irgendwelche Gesetze durchzubringen“, erklärt der Amundi-CIO. „Es gäbe in den nächsten drei Jahre Stillstand“, ist er überzeugt. Abgesehen davon gäbe es aber genügend Mechanismen, um zu verhindern, dass der rechtsextreme Rassemblement National (RN) willkürlich Gesetze durchsetzen kann. „Das Verfassungsgericht kann Texte blockieren und verhindern, dass die Verfassung ausgehebelt wird.“
Linksextremisten könnten Märkte erschüttern
Wenn nach den Neuwahlen ein geteiltes Parlament ohne wirkliche Führung herauskäme, wären die Auswirkungen auf Investoren gering, meint Mortier. „Wenn der RN es auf eine absolute Mehrheit brächte, was zum jetzigen Zeitpunkt sehr unwahrscheinlich ist, hätte das einige Auswirkungen. Es gäbe möglicherweise ein höheres Defizit, höhere Schulden, mehr Auseinandersetzungen über die Haushaltspolitik.“
Die Folgen wären aber nach Ansicht des Investmentspezialisten dennoch begrenzt, da der RN nicht in der Lage wäre, die disruptivsten Teile seines Programms umzusetzen. „In Frankreich hat der Präsident nach wie vor weitreichende Befugnisse, und er wird auch weiterhin in den großen internationalen Fragen, in der Außen- und Verteidigungspolitik und in europäischen Angelegenheiten die Federführung haben“, erklärt er. Dagegen könnte eine absolute Mehrheit des linken Blocks unter Führung der Radikalen wirkliche Auswirkungen auf die Märkte haben, „denn das Programm ist antikapitalistisch und würde die Wirtschaft erschüttern“, meint Mortier. „Die Linksextremisten kümmern sich nicht um haushaltspolitische Regeln und sagen, dass die Finanzierung durch eine Besteuerung der Reichen und Unternehmen kommt. Wir sind jedoch der Meinung, dass aktuell keine Partei in der Lage zu sein scheint, eine absolute Mehrheit zu gewinnen und ihr Programm durchzusetzen.“
Vorherrschaft des Dollar nähert sich dem Ende
In den USA hält der Amundi-CIO derzeit eine Wiederwahl von Donald Trump für das wahrscheinlichste Szenario. „Kurzfristig wäre die Reaktion des Marktes auf seine Wahl gut für amerikanische Aktien, weil Investoren sagen würden, großartig, es gibt weniger Steuern“, sagt Mortier. „Das wird aber nicht sehr lange anhalten, weil der Bondmarkt dann daran erinnern wird, dass die Situation der Staaten nicht so großartig ist, dass ihre Kapazität, die Verschuldung auszudehnen, einen Preis haben wird. Die Default-Raten könnten auf 5%, 6% steigen.“ Einbrüche am Bondmarkt hätten auch Auswirkungen auf den Aktienmarkt und die Politik.
Unter Trump könnte es mehr Steuererleichterungen und höhere Ausgaben geben, sodass die Inflation Anfang nächsten Jahres zurückkommen könnte, erklärt Mortier. Außerdem seien die Daten in den USA nicht so gut. Der Arbeitsmarkt schwäche sich ab und die Kapazität der Regierung, zu investieren, sinke. „Deshalb wartet die Fed ab, wie sich die Dynamik entwickelt“, sagt er. „Sie wollen nicht zu abhängig von der politischen Entwicklung sein. Trump hat ja gesagt, dass er die Unabhängigkeit der Fed beenden will. Das wäre ein großer Einschnitt.“
Unabhängig davon erwartet Mortier, dass der Dollar auf Dauer nicht die einzige Leitwährung weltweit bleiben wird, da viele Länder frustriert seien, so abhängig von ihm zu sein. „Wir nähern uns dem Ende seiner Vorherrschaft“, sagt er. „Die Frage ist, wann und welche Währung ihn ersetzen kann.“