Französische Präsidentschaftswahlen

Keine Wiederholung

Nie zuvor war die Position des rechtsextremen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen ein Jahr vor den Wahlen so stark wie jetzt.

Keine Wiederholung

Sie ist noch knapp ein Jahr entfernt. Eine lange Zeit, so wirkt es auf den ersten Blick. Doch auch wenn der eigentliche Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich erst nach der traditionellen Sommerpause im September so richtig Fahrt aufnehmen dürfte, werden schon jetzt die Weichen für die Urnengänge am 8. und 23. April 2022 gestellt. Wie die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone die Pandemie in den Griff bekommen wird, wie stark sie sich in diesem Jahr wieder von der Coronavirus-Krise erholen kann, ob und wie die eigentlich für Juni geplanten Regionalwahlen ausfallen: All das wird mit darüber entscheiden, wer das Rennen um das höchste Staatsamt gewinnen wird.

Französische Wähler wollten eine Wiederholung von 2017 mit einer Stichwahl zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen vermeiden, heißt es in Paris. Doch alle Umfragen deuten derzeit darauf hin, dass es genau dazu kommen wird. Dabei hat sich Macron noch nicht dazu geäußert, ob er für eine Wiederwahl kandidieren wird oder nicht. Nicht nur deshalb wäre es ein Fehler, zu glauben, dass es im April 2022 zu einer Wiederholung der Präsidentschaftswahlen von 2017 kommen wird. Denn trotz einiger Ähnlichkeiten gibt es eine Menge Unterschiede zu damals.

So sind die Chancen für Le Pen, als erste rechtsextreme Kandidatin nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die wichtigste Wahl Frankreichs zu gewinnen, inzwischen deutlich gestiegen. Neben der Pandemie spielen ihr mehrere Faktoren in die Hände. Da ist die traditionelle Ablehnung der Eliten, die in Frankreich noch immer mehr Gewicht haben als in der Bundesrepublik. Da ist aber auch das Gefühl der Ungerechtigkeit, der Machtlosigkeit gegenüber der Pandemie, die auch die Grenzen der Globalisierung aufgezeigt und den Wunsch verstärkt hat, das Schicksal des Landes wieder selbst in die Hand nehmen zu können.

Je länger die Pandemie andauert, desto mehr scheint Le Pen davon zu profitieren. Lag Macron noch im Oktober bei den meisten Szenarien einer von Ifop-Fiducial für die Sonntagszeitung „Journal du Dimanche“ und Sud Radio durchgeführten Umfrage beim ersten Wahlgang vor Le Pen, so sieht eine am vergangenen Sonntag veröffentlichte neue Befragung Le Pen inzwischen in sechs von zehn Szenarien mit einem deutlichen Vorsprung in der ersten Runde. Nie zuvor war die Position des rechtsextremen Rassemblement National (RN) ein Jahr vor den Wahlen so stark wie jetzt. Le Pen ist es gelungen, die von ihrem Vater gegründete Partei gesellschaftsfähig zu machen. Sie schwingt keine antisemitschen Hasstiraden wie er und fordert inzwischen auch nicht mehr den Austritt aus der Eurozone, sondern bekennt sich öffentlich zum Schuldenabbau. Das darf aber nicht da­rüber hinwegtäuschen, dass die europakritische Politikerin gegen Immigration und Freihandel ist und Sympathien für Populisten und Autokraten hegt. Oft vertritt sie genau die entgegengesetzte Position zu Macron.

Dieser kann jedoch im Gegensatz zu 2017 nicht mehr davon profitieren, mit einer neuen Bewegung für frischen Wind und eine Alternative zu den bis dahin dominierenden zwei Parteien zu sorgen. In den Augen vieler französischer Wähler gilt oft jeder andere Kandidat als besser als der Amtsinhaber, der deshalb oft abgestraft wird. Macron wird sich bei den Wahlen 2022 jedoch nicht nur für seine von Krisen wie der Pandemie und den Gelbwesten-Protesten überschatteten Amtszeit, sondern auch für seine von vielen Franzosen als arrogant und selbstherrlich empfundene Art verantworten müssen.

Dass er sich Ende Januar über die Empfehlungen der Wissenschaftler hinweggesetzt und trotz steigender Inzidenzen die Coronabeschränkungen zur Bekämpfung der dritten Welle nicht verschärft hatte, um die wirtschaftliche Erholung nicht zu gefährden, könnte ihn weitere Punkte kosten. Je länger der inzwischen unvermeidbar gewordene neue Lockdown anhalten wird, je länger die Pandemie und die damit verbundene Krise andauern werden und eine Fortsetzung der von ihm versprochenen Reformen verhindern, desto mehr dürfte Le Pen profitieren. Bereits jetzt steht fest, dass Macron mit einem weit geringeren Vorsprung gewinnen dürfte, sollten er und Le Pen tatsächlich in die Stichwahl kommen.

Doch noch ist eine Menge Zeit bis April 2022, in der sich andere Kandidaten in Stellung bringen können. Einer davon dürfte Macrons früherer Premierminister Édouard Philippe sein. Noch sind deshalb Überraschungen wie bei den letzten Wahlen nicht ausgeschlossen.