Klimagesetz geht nicht weit genug
sp Berlin
Das Ende 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz der Bundesregierung geht dem Bundesverfassungsgericht nicht weit genug. Da konkrete Vorgaben zur Minderung von Treibhausgasemissionen nach 2030 fehlten, müsse bis Ende 2022 nachgebessert werden, erklärte der Erste Senat in seiner Mitteilung zum gestern verkündeten Beschluss, mit dem die Karlsruher Richter der Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz teilweise folgen. Die Regierung versprach, trotz des beginnenden Wahlkampfes zur Bundestagswahl Eckpunkte für eine Gesetzesreform noch vor dem Sommer vorzulegen. Da die Europäische Union (EU) ihre Klimaziele gerade noch einmal erhöht hat, müssten auch die Reduktionsziele bis 2030 nachgeschärft werden, wie Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) betonte.
„Mit der Präzisierung des Degressionspfads ab 2030 ist es nicht getan“, ist auch Moritz Rademacher, Experte für öffentliches Wirtschaftsrecht und Regulierung sowie Energierecht aus dem Düsseldorfer Büro der Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller, überzeugt. „Man muss gleichzeitig festschreiben, in welchen Sektoren diese Ziele mit welchen Maßnahmen erreicht werden sollen“, sagt Rademacher zu den Folgen des Entscheids aus Karlsruhe. Ein bisschen habe ihn das Urteil überrascht, so Rademacher. Denn auch wenn der Trend zu mehr Klimaschutz in den vergangenen Jahren sichtbar gewesen sei, habe das Bundesverfassungsgericht die Ausgestaltung des Klimaschutzes nach dem Jahr 2030 ungewöhnlich deutlich kritisiert. „Dabei kann man nicht sagen, dass sich Deutschland im internationalen Vergleich der großen Emittenten keine Vorreiterrolle erarbeitet hätte, was die gesetzliche Ausarbeitung des Klimaschutzes anbelangt“, sagt der Jurist.
Höherer Stellenwert fürs Klima
Dem Klimaschutz gehöre nach dem Urteil ein höherer Stellenwert eingeräumt, „auch oder gerade in der Abwägung mit gegenläufigen Interessen“, fasst Rademacher die Bedeutung des Urteils auch für künftige Regierungen zusammen. Ist es in seiner Wirkung vergleichbar mit dem Entscheid des obersten Gerichts der Niederlande, das im Dezember 2019 ein Urteil bestätigte, mit dem die Niederlande als weltweit erster Staat auf ein konkretes Emissionsziel verpflichtet wurde? „Das Urteil hatte die gleiche Stoßrichtung, was die Schutzpflichten angeht, denn der Staat hatte auch hier die Pflicht, die Gefahren des Klimawandels abzuwenden. Es ist aber etwas anders gelagert, weil dem niederländischen Staat die sofortige Pflicht zur erheblichen Reduktion auferlegt wurde. Das ist für die Neuausrichtung des Klimaschutzes ab 2030 anders“, sagt der Experte von Hengeler Mueller. Für Deutschland sei das Urteil dennoch „wegweisend“. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das Gericht in seiner Urteilsbegründung es prinzipiell für möglich hält, dass auch Menschen aus dem Ausland den deutschen Staat auf Klimaschutz in Anspruch nehmen können.
Wenn das Verfassungsgericht dem Klimaschutz einen höheren Stellenwert einräume, könne man davon ausgehen, dass ihm auch in anderen Verfahren ein höherer Stellenwert eingeräumt werde, sagt Rademacher zu den möglichen Folgen für Unternehmen. „Das ist eine Grundtendenz, der sich deutsche Unternehmen in anderen Verfahren wahrscheinlich nicht erwehren können.“
Das Klimagesetz von 2019 sieht vor, dass bis 2030 der CO2-Ausstoß um mindestens 55% im Vergleich zu 1990 reduziert werden muss. Für einzelne Sektoren wie Energie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft werden Obergrenzen für Treibhausgase bis 2030 festgelegt. Ziel ist es, gemäß dem Klimavertrag von Paris bis 2050 praktisch kein CO2 mehr auszustoßen und die Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Die Kläger sprachen von einem großen und unerwarteten Erfolg. „Wir sind superglücklich mit der Entscheidung des Gerichtes“, sagte die Studentin Sophie Backsen. „Die Zeiten für politische Klimaziele sind vorbei“, erklärte Anwältin Roda Verheyen. „Klimaleugner haben ab heute keine Chance mehr.“