EUROPA HAT DIE WAHL

Kommissionspräsident oder lieber EZB-Chef?

Vom Ausgang der Europawahl hängt auch die Vergabe zahlreicher Topjobs in der EU und der Eurozone ab

Kommissionspräsident oder lieber EZB-Chef?

Von Andreas Heitker, Brüssel, und Mark Schrörs, FrankfurtDie direkte Verknüpfung zwischen der Wahl zum Europaparlament und der Ernennung eines neuen EU-Kommissionspräsidenten gibt es erst seit 2014. Dieser “Spitzenkandidaten”-Prozess sollte die Europawahl aufwerten und die EU insgesamt ein Stück weit demokratischer machen. Die Staats- und Regierungschefs hatten dies vor fünf Jahren im Zuge der Wahl von Jean-Claude Juncker eher widerwillig akzeptiert, weil damit ihre Macht bei der Auswahl des neuen Kommissionschefs eingeschränkt wird. Das EU-Parlament hat allerdings auch für 2019 ganz klargestellt: Es wird nur ein neuer Kommissionspräsident akzeptiert, der sich zuvor als Spitzenkandidat seiner Partei im Wahlkampf den Bürgern gestellt hat. Wer neuer Behördenchef wird, hängt damit auch ganz entscheidend vom Ausgang der Wahl, der Stärke der jeweiligen Fraktionen und den Bündnissen ab, die nach der Wahl geschmiedet werden.Doch es geht nicht nur um die Juncker-Nachfolge. Die Entscheidung, wer neuer Kommissionspräsident wird, hat im Nachgang Einfluss auf die Nachbesetzung des EU-Ratspräsidenten, die Ende des Jahres ansteht, auf die Wahl des Präsidenten des neuen Europaparlaments und insbesondere auch darauf, wer künftig an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) rücken wird. Die achtjährige Amtszeit von EZB-Präsident Mario Draghi läuft Ende Oktober dieses Jahres aus. Frage des richtigen ProporzesHintergrund ist, dass es bei EU-Topjobs immer auch um den richtigen Proporz zwischen den Mitgliedsländern geht. Auch eine regionale sowie parteipolitische Ausgewogenheit – abhängig auch hier vom Ergebnis der Europawahl – und Genderfragen spielen beim Ausbalancieren der Macht zumindest theoretisch eine Rolle. Sollte die Europäische Volkspartei (EVP) tatsächlich stärkste Kraft im neuen EU-Parlament werden und sollte es ihrem Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) gelingen, eine Mehrheit zu formen und Chef der neuen EU-Kommission werden, – dann hätte Bundesbankpräsident Jens Weidmann keine Chance mehr auf die Draghi-Nachfolge.Sollte Weber dagegen nicht zum Zuge kommen und auch kein anderer Deutscher, wäre Weidmann wieder im Rennen. Nicht nur, dass Deutschland bislang nicht den EZB-Chef gestellt hat – genau wie Coeuré gilt auch Weidmann als intellektuelles Schwergewicht im EZB-Rat. Speziell im Euro-Süden gibt es zwar starke Vorbehalte gegen Weidmann, der teils kräftige Kritik an der ultralockeren EZB-Politik geäußert hat. Deswegen gibt es auch immer wieder Spekulationen, Deutschland könne zwar zum Zuge kommen, aber nicht Weidmann. Eine solche Lösung erscheint aber sehr unwahrscheinlich.Es ist eine sehr strategische Entscheidung, die die Bundesregierung zu treffen hat: Hilft es deutschen Interessen eher, auf die Führung der EZB zu setzen? Oder könnte ein Deutscher an der Spitze der Brüsseler Kommission vielleicht mehr bewirken? Und was sagt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dazu, der vor einer ähnlichen Frage steht? In der Öffentlichkeit wird darüber schon seit einem Jahr spekuliert. Entscheidungen sind aber wohl erst nach der Wahl Ende Mai möglich.Sollte Weidmann nicht bei der EZB zum Zuge kommen, sehen auch in Notenbankkreisen viele Frankreichs Zentralbankchef François Villeroy de Galhau als Favoriten. Als möglicher französischer Kandidat gilt aber auch EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré, der unlängst ungewöhnlich offen Interesse bekundet hatte. Im Blick: EIB, ESM und SRBSollte es aber doch auf Weidmann als neuen EZB-Chef hinauslaufen, hätte dies nach Meinung von Experten auch Auswirkungen auf die künftige Führung von EU-Finanzinstitutionen, die sich derzeit noch in deutscher Hand befinden. Hierzu gehören unter anderem der Eurorettungsschirm ESM, die Europäische Investitionsbank EIB und die Bankenabwicklungsbehörde SRB.