Konjunkturdaten mit bitterer Note

Deutsche Industrie sammelt mehr Aufträge ein - Ifo warnt vor Insolvenzen - Sentix-Barometer legt zu

Konjunkturdaten mit bitterer Note

Die Anzeichen mehren sich, dass die Eurozone, aber auch deren größte Volkswirtschaft Deutschland konjunkturell das Schlimmste hinter sich hat. Allerdings wird zunehmend klarer, dass die zunächst für die Zeit nach den coronabedingten Lockdowns erwartete Erholung doch nicht so kräftig ausfallen wird.ba Frankfurt – Die deutsche Industrie kann ein Stück weit aufatmen: Nach dem scharfen Auftragseinbruch infolge der Corona-Pandemie legten die Orderzahlen im Mai wieder kräftig zu. Allerdings sehen zugleich 17 % der Industriebetriebe ihr Überleben durch die Coronakrise gefährdet, wie eine Umfrage des Ifo-Instituts ergibt. Insbesondere Firmen aus den Bereichen Metallerzeugung und -bearbeitung, Textilherstellung und dem Druckgewerbe, aber auch die Automobilhersteller und ihre Zulieferer seien betroffen, meldeten die Münchener Konjunkturforscher. Über alle Sektoren hinweg hält sich ein Fünftel der deutschen Unternehmen für gefährdet: “In den kommenden Monaten könnte sich eine Insolvenzwelle anbahnen”, warnte Ifo-Forscher Stefan Sauer.Und auch mit Blick auf die Eurozone sind die gestern veröffentlichten Daten mit einer gewissen Vorsicht zu genießen: Zwar ist das saisonbereinigte Absatzvolumen des Einzelhandels im Mai um 17,8 % gestiegen – nach einem Rückgang um 12,1 % im April und 10,6 % im März. Im Vergleich zum Mai 2019 zeigt sich aber, dass der Aufholprozess noch nicht abgeschlossen ist: Laut dem Statistikamt Eurostat liegen die Umsätze 5,1 % unter dem Vorjahresniveau.ING-Ökonom Bert Colijn warnt, dass die immense staatliche Unterstützung der Kurzarbeiterprogramme in den einzelnen Ländern eine große Rolle gespielt hat. In den kommenden Monaten werde es aber schwieriger, wenn der Nachholbedarf sinke und die Arbeitslosigkeit weiter zunehme. Die Daten spiegeln auch die Schwere der getroffenen Schutzmaßnahmen wider: Deutschland, die Niederlande, Österreich und Finnland verzeichneten im Mai stärkere Verkäufe als im Januar und Februar, wohingegen Frankreich, Spanien, Irland und Portugal noch nicht so weit sind – und die Daten aus Italien, Griechenland, Tschechien und Zypern von Eurostat als vertraulich gekennzeichnet sind.Der dritte Anstieg des Sentix-Konjunkturindex in Folge gibt laut Sentix-Geschäftsführer Manfred Hübner ebenfalls nur Anlass zu verhaltener Freude. Für Juli ist das monatlich unter 1 109 Anlegern ermittelte Stimmungsbarometer um 6,6 auf -18,2 Punkte gestiegen. Allerdings sei die Erwartungskomponente in fast allen betrachteten Regionen leicht gesunken. Zudem gingen die “Anleger nach wie vor davon aus, dass die coronabedingten Wirtschaftseinbrüche binnen eines Jahres nicht ausgeglichen werden können”, sagte Hübner. Die gesunkenen Erwartungen seien “ein Zeichen, dass eine Gefahr besteht, dass dem ,Aufschwung` schon im Sommer die Puste ausgehen könnte”.Vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) zufolge sammelte derweil die deutsche Industrie im Mai im Monatsvergleich kalender- und saisonbereinigt 10,4 % mehr Bestellungen ein. Ökonomen hatten im Schnitt allerdings ein Auftragsplus von 15,0 % erwartet, nach dem Minus von revidiert 26,2 (zuvor: 25,8) % im April. Damit ist der kräftige Rückgang von März und April zwar bei weitem nicht ausgeglichen – im Vergleich zum Februar, dem letzten Monat vor den coronabedingten Einschränkungen, liegt der Ordereingang im Mai 30,8 % zurück -, doch schüren die gestern veröffentlichten Daten die Hoffnung der Ökonomen auf weitere Zuwächse in den kommenden Monaten, auch bei der Industrieproduktion. Aus dem Umsatzplus von 10,6 % im Mai erwarten Ökonomen einen entsprechenden Produktionszuwachs. Die Daten werden heute veröffentlicht.”Die jüngsten Daten zu den Auftragseingängen sprechen dafür, dass die Industrierezession ihren Tiefpunkt durchschritten hat”, kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium. Das nach wie vor niedrige Orderniveau zeige aber auch, dass der Aufholprozess noch lange nicht abgeschlossen sei. Der vergleichsweise geringe Orderzuwachs aus dem nichteuropäischen Ausland von 2,0 % deute zudem darauf hin, dass das weltwirtschaftliche Umfeld zunächst schwierig bleibe. Aus der Eurozone kamen 20,9 % mehr Bestellungen als im Vormonat. Die Order aus dem Inland kletterten um 12,3 % (siehe Grafik).Insbesondere das deutliche Auftragsplus von 20,3 % bei Investitionsgütern hat den Bestellungen Schwung verliehen. Im Kfz-Bereich gab es einen Zuwachs von 44,4 % laut Ministerium, das sind allerdings immer noch gut 47 % weniger als im Februar 2020. Ohne Berücksichtigung von Großaufträgen lag der Orderzuwachs im Mai bei 8,9 %.