Konzentration auf die anderen 83 Prozent
Konzentration auf die anderen 83 Prozent
In Reaktion auf die angekündigten US-Zölle will Brüssel Verhandlungen mit Handelspartnern in aller Welt beschleunigen
Von Detlef Fechtner, Brüssel
In kein anderes Land führt die Europäische Union so viel Exporte aus wie in die USA. Mehr als ein Sechstel, nämlich 17%, des Ausfuhrvolumens, landet in den Vereinigten Staaten. Das entspricht den Exporten der EU sowohl nach Großbritannien als auch in die Schweiz. Insofern treffen die von US-Präsident Donald Trump angekündigten Strafzölle die Europas Volkswirtschaft besonders schmerzhaft. Und die absehbaren Einbußen im transatlantischen Handel sind, zumindest kurz-und mittelfristig, nicht einfach durch eine Belebung des Handels mit anderen Partnern zu kompensieren − zu eklatant sind die Größenunterschiede. So würde es nicht ansatzweise reichen, wenn beispielsweise der Außenhandelsumsatz der EU mit Indien zweistellig zulegen würde, um das US-Volumen zu erreichen. Er müsste sich vielmehr versiebenfachen.
Nichtsdestotrotz können engere Bande im Waren- und Dienstleistungsverkehr mit anderen Regionen der Welt selbstverständlich den Effekt der Beeinträchtigungen im transatlantischen Handel mindern. Die Beschleunigung der Verhandlungen mit Handelspartnern jenseits der Vereinigten Staaten gelten daher in Brüssel als Gebot der Stunde. Erst vor wenigen Tagen untermauerte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Engagement für Freihandelsvereinbarungen mit vielen anderen Regionen. Sie sprach von „riesigen Gelegenheiten“ und kündigte an, dass sich die EU-Behörde nun noch intensiver um die anderen „83%“ kümmern werde − also um die Handelsbeziehungen mit allen Staaten außer den USA.
Zum einen erinnerte von der Leyen an die Abschlüsse, die die EU in jüngster Zeit erreicht hat: mit Mexiko, mit den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) sowie mit der Schweiz.
Mercosur und Mexiko
Im Falle Mercosur hatte sich die EU-Kommissionschefin im Dezember entschlossen, trotz heftiger Widerstände insbesondere aus Frankreich, wo die Landwirte gegen eine Handelsliberalisierung mit den lateinamerikanischen Staaten opponieren, das Abkommen in Montevideo zu unterzeichnen. Nun muss es freilich noch abschließend ratifiziert werden − wobei durch die drastischen Ansagen aus Washington zuletzt die Wahrscheinlichkeit gestiegen ist, dass die EU-Staaten trotz der Vorbehalte Frankreichs oder auch Österreichs die erforderliche Mehrheit zusammenbringen werden.
Wenige Wochen später folgte die Unterzeichnung eines vergleichbaren Handelspakts mit Mexiko. Nach Brasilien ist Mexiko der zweitgrößte Handelspartner unter den Ländern Lateinamerikas.
Ebenfalls nach langjährigen Verhandlungen gelang der EU vor wenigen Monaten die Verständigung auch mit der Schweiz. Konkret werden, sofern es bei der Ratifizierung nicht mehr hakt, fünf Abkommen modernisiert, die Schweizer Bürgern und Unternehmen Zugang zum europäischen Binnenmarkt gewähren. Damit werden die Rahmenbedingungen für den bilateralen Handel weiter erleichtert.
Asien im Blick
Im Blick nach vorne hob von der Leyen die Verhandlungen mit Indien, Thailand, Malaysia und Indonesien ausdrücklich hervor. Was Indien angeht, konnte die − fast in gesamter Mannschaftsstärke nach New Delhi gereiste − EU-Kommission gerade erst vor fünf Wochen Fortschritte melden. Beide Seiten betonen den politischen Willen, das seit mehr als zehn Jahren verhandelte Freihandelsabkommen umgehend zu einem Abschluss zu bringen − idealerweise noch 2025. Was den möglichen Handelspakt angeht, so dringt die Europäische Union vor allem auf eine Reduzierung der indischen Importzölle auf Autos und Alkoholika sowie auf einen einfacheren Zugang zu Auftragsvergabeverfahren. Nach Angaben aus verhandlungsnahen Kreisen gelten Hürden in Zusammenhang mit dem Schutz von Indiens Landwirtschaft vor EU-Konkurrenz mittlerweile als überwindbar.
277 Millionen Konsumenten
Mit den drei anderen genannten Ländern, also Thailand, Malaysia und Indonesien, hat die Europäische Union vor Jahren Gespräche auf bilateraler Basis begonnen, da der ursprüngliche Plan, nämlich ein Rahmenabkommen mit der kompletten südostasiatischen Ländergruppe (Asean). Indonesien ist dabei allein wegen seiner schieren Größe als weltgrößter Inselstaat und mit 277 Millionen Einwohnern als Nummer vier in punkto Bevölkerung von besonderer Bedeutung. Prognosen zufolge könnte der Staat Ende dieses Jahrhunderts nahezu so viele Menschen beheimaten wie die EU insgesamt. Noch stehen einem florierenden Warenverkehr mit Indonesien jedoch hohe Zölle im Wege.