Kopf-an-Kopf-Rennen in Brasilien

Rechtsaußen-Kandidat Bolsonaro leicht in Führung - Keiner der beiden Spitzenkandidaten hat ein Konzept, um Brasilien aus der Krise zu führen

Kopf-an-Kopf-Rennen in Brasilien

Von Andreas Fink, Buenos AiresVor der Parlaments- und Präsidentenwahl am kommenden Sonntag ist Brasilien so tief gespalten wie nie zuvor. Nach einer am Montag präsentierten Umfrage des Demoskopieinstituts Datafolha, sind die Zustimmungswerte für den rechtspopulistischen Ex-Militär Jair Bolsonaro von 28 auf 32 % gestiegen. Ihm folgt Fernando Haddad, der Kandidat der linkspopulistischen Arbeiterpartei PT mit 21 Punkten auf Rang zwei. Weitere zehn Prozentpunkte dahinter rangiert der Mitte-links-Bewerber Ciro Gomes. Die anderen zehn Kandidaten bekommen weniger als 10 % Zustimmung. Der Wahlgang am Sonntag dürfte, darüber sind sich alle Demoskopen einig, in eine brisante Stichwahl in drei Wochen münden. Und am Ende könnte nicht der Kandidat obsiegen, der mehr geliebt wird. Sondern jener, dem weniger Ablehnung entgegenschlägt.Auch in der Antipathie-Wertung führt Bolsonaro die Umfragen an. Laut Datafolha würden 45 % der Bürger keinesfalls für den Abgeordneten der Kleinpartei PSL stimmen, der mit steter Regelmäßigkeit verbale Ausfälle gegen Homosexuelle, Frauen, Schwarze und Indigene produzierte. Aber auch der Lula-Stellvertreter Haddad hat mehr Feinde als Freunde: 41 % der Bürger wollen unter keinen Umständen einen Mann wählen, der sich seine politischen Marschbefehle im Gefängnis von Curitiba holen muss, wo der Ex-Präsident Lula seine 12-Jahre-Haftstrafe wegen Korruption verbüßt. Hohe VerschuldungDie Negativwerte mögen erklären, warum sich sowohl Haddad als auch Bolsonaro zuletzt sehr zurücknahmen. Der Rechtsaußen, dem ein geistig verwirrter Attentäter am 6. September ein Messer in den Unterleib gestochen hatte, verfolgte nach seiner Entlassung vorigen Samstag die TV-Elefantenrunde auf dem heimischen Sofa. Und Haddad, ein 55-jähriger Ökonom und vormals Bürgermeister von Sao Paulo, mühte sich, Wirtschaftsführern zu erklären, dass seine Ansichten zu Themen wie Inflation, Wechselkursen und Defiziten durchaus orthodoxen Vorstellungen entsprächen. Weil er jedoch die unter dem Präsidenten Michel Temer beschlossene Arbeitsmarktreform wie auch die 20-jährige Deckelung der öffentlichen Ausgaben zurücknehmen will, lehnt ihn die Wirtschaft weiter ab.Anders als dereinst Lula kann Haddad in Zeiten internationaler Handelskonflikte nicht auf einen Rohstoffboom hoffen. Brasiliens Wirtschaft, die erst im Vorjahr die schlimmste Rezession ihrer Geschichte hinter sich ließ, wächst 2018 um magere 1,2 %, schätzt das Bankhaus J.P. Morgan. Und die Landeswährung sowie die Aktienkurse der wichtigsten Unternehmen büßten in 2018 etwa 20 % ihres Wertes ein. Nun streiten Finanzexperten. Die einen halten brasilianische Werte für spottbillig und raten zum Einstieg. Andere fürchten einen weiteren Verfall.Der Grund dafür beziffert sich auf 1 Bill. Dollar. So hoch sind inzwischen die öffentlichen Schulden des Landes, das seit Jahren enorme Defizite produziert, in 2017 waren es 7,8 % der gesamten Wirtschaftsleistung. Das Pensionssystem, in dem Frauen im Durchschnitt mit 53 und Männer mit 56 Jahren in den Ruhestand gehen, gilt nach OECD-Angaben als die toxischste Vorsorgeeinrichtung der Welt. Ohne Reform drohen die Schulden außer Kontrolle zu geraten. Ende 2017 entsprachen Brasiliens Verbindlichkeiten etwa 74,04 % des Bruttoinlandsproduktes. Die Chancen, dass die künftige Regierung die “fiskalischen Herausforderungen” meistern könne, schätzt J.P. Morgan auf maximal 50 % ein.Das liegt auch am brasilianischen Parlamentarismus. Auch diesen Sonntag dürften wieder Politiker aus mehr als 30 Parteien in die zwei Kammern von Brasília gewählt werden. Welcher neue Präsident auch immer am Neujahrstag den “Palast der Morgenröte” übernehmen wird, er wird sich Mehrheiten für seine Politik borgen müssen, denn weder Bolsonaros Kleinpartei PSL noch Haddads PT werden eigene Mehrheiten erzielen. Die Abgeordneten anderer Parteien erwarten traditionell Kompensationen, um Regierungsvorschläge abzunicken. Aber woher soll der künftige Präsident Mittel nehmen, um rigide Sparprogramme durch den Kongress zu bekommen? Bolsonaro holt SuperministerDie Wirtschafts- und Finanzeliten hofften ursprünglich, dass Geraldo Alckmin, der konservative Ex-Gouverneur des Staates Sao Paulo, in die Stichwahl einziehen könnte. Aber nun versuchen einige, sich Bolsonaro schönzureden. Der Ex-Militär hatte sich jahrelang damit öffentlich gebrüstet, von Wirtschaft “keinen Schimmer” zu haben, Ende der 1990er Jahre verlangte er gar, den damaligen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso zu erschießen, nachdem dieser Staatsbetriebe privatisieren ließ. Nun jedoch holte er sich einen Wirtschaftsberater, der Brasiliens größte öffentliche Kompanie Petrobras sowie die Staatsbank Banco do Brasil auf den Markt bringen will. Paulo Guedes, ein Finanzspezialist, ausgebildet an der University of Chicago, soll Bolsonaros Superminister für Finanzen, Infrastruktur und Handel werden. Mit dieser Personalie sicherte sich Bolsonaro die Unterstützung einer Reihe bedeutender Industrieführer. Zu Wochenanfang versicherte die einflussreiche und parteiübergreifende Agrar-Fraktion im Parlament ihre Unterstützung für Bolsonaro. Auch die ähnlich bedeutende evangelikale Fraktion hat dem Freikirchen-Freund Bolsonaro ihren Rückhalt versprochen. Diese Zusagen ließen zu Wochenanfang die Börse brummen. Am Montag stiegen die Werte in Sao Paulo um 3,7 % und legten am Dienstag weitere 2 % zu.Doch Bolsonaros Biografie nährt die Skepsis über die Langlebigkeit der Paarung zwischen dem sprunghaften Ex-Militär und dem überzeugten Liberalen Guedes. Bereits im Wahlkampf vor zwei Wochen gab es eine öffentlich ausgetragene Unstimmigkeit, nach der Guedes mehrere Termine platzen ließ. Strukturelle InstabilitätUm im Präsidentenamt zu reüssieren, müsste Bolsonaro zudem Allianzen mit anderen Parteien schmieden. Doch in seinen drei Jahrzehnten als Kongressabgeordneter vermochte er es nicht einmal, mit seinen eigenen Parteifreunden auszukommen. Aus acht verschiedenen Gruppierungen trat er bereits aus, das Parteibuch der PSL ist bereits sein neuntes. “Diese Wahl sehe ich nicht als Ausweg”, sagt Roberto Romano, ein Rechtsgelehrter von der Universität in Campinas. “Sie ist allenfalls ein Beleg der strukturellen Instabilität Brasiliens.”