Ökonomen zum Ampel-Aus

„Deutschland sollte den Sparfetisch endlich loslassen“

Die Ampel ist Geschichte. Mehrere Ökonomen ziehen für die Börsen-Zeitung eine Bilanz zur Wirtschaftspolitik der Regierung und sagen, was sie sich von der Neuen erhoffen.

„Deutschland sollte den Sparfetisch endlich loslassen“

Das Kapitel Ampel-Regierung endet mit einem spektakulären Knall. Die Bundesregierung findet keinen Kompromiss bei den Themen Haushalt und Schuldenbremse. Nun stehen Neuwahlen im kommenden Jahr vor der Tür. Mehrere Ökonomen ziehen für die Börsen-Zeitung eine wenig schmeichelhafte Bilanz über die Wirtschaftspolitik der Ampel und äußern ihre Forderungen und Wünsche an die kommende Bundesregierung.

Carsten Brzeski ist Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich der ING. Zu seinem Schwerpunkten zählen wirtschaftliche und politische Entwicklungen in Deutschland und Europa, einschließlich der Geldpolitik der EZB. Bild: ING

Herr Brzeski, wie bewerten Sie das wirtschaftspolitische Erbe der Ampel?

Der Koalitionsvertrag der Ampel war ein guter Start und wäre immer noch ein guter Plan für jede nächste Regierung. Schon damals gab es den Versuch, die Wirtschaft Deutschlands zu modernisieren. Allerdings fehlte immer die Erklärung, wie das unter Berücksichtigung der Schuldenbremse funktionieren würde. Die Wirtschaftskrise nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat man gut gemeistert. Schiefgelaufen ist es jetzt bei einer Neuaufstellung der deutschen Wirtschaft. Stark angefangen und dann ganz stark nachgelassen, wäre mein kurzes Fazit. In Erinnerung bleibt jetzt vor allem das Nicht-Zustandekommen einer neuen wirtschaftlichen Vision für Deutschland.

Welche wirtschaftspolitischen Vorhaben sollte die Minderheitsregierung in einer möglichen Zusammenarbeit mit der Union vor den Neuwahlen noch durch das Parlament bringen?

Man sollte langfristige wirtschaftspolitische Vorhaben der nächsten Regierung überlassen. Jetzt sollten nur Hilfsmittel bereitstehen, um die möglichen negativen Folgen der Industriekrise kurzfristig abzumildern.

Welche Folgen hätte ein monatelanger politischer Stillstand für die wirtschaftlichen Aussichten Deutschland und Europas? Gerade vor dem Hintergrund des Wahlergebnisses in den USA und des Krieges in der Ukraine.

Monatelanger politischer Stillstand würde Deutschland wirtschaftlich noch weiter zurückwerfen. Mit der Wahl Donald Trumps droht uns nicht nur ein Handelskrieg, der vor allem die deutsche Industrie schwer treffen würde, sondern auch eine weitere Schwächung des Standortes Deutschland. Wenn ein Unternehmen die Wahl hat zwischen billiger Energie, niedrigeren Steuern und Deregulierung in den USA und Undeutlichkeit und Chaos in Deutschland, kann man sich vorstellen, wo die nächste Investition getätigt wird. Wir brauchen in Deutschland einen wirtschaftspolitischen Neustart, mit einer Zuverlässigkeit über einige Jahre. Nur so bekommen Unternehmen und Verbraucher Planungssicherheit.

Welche wirtschaftspolitischen Forderungen/Wünsche haben Sie an die im kommenden Jahr neu gewählte Regierung?

Die Vorschläge für Reformen liegen ja schon lange auf dem Tisch. Man sollte den Draghi-Bericht als Vorlage für eine neue wirtschaftspolitische Strategie benutzen. Deutschland sollte den Sparfetisch endlich loslassen. Wir haben eine der niedrigsten Staatsverschuldungen Europas und müssen jetzt investieren. Strukturreformen mit Sparpolitik ist viel schwieriger und trägt erst viel später Früchte als Strukturreformen mit Investitionen. Fragen Sie mal bei den südeuropäischen Ländern nach.


Jens Boysen-Hogrefe ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Konjunktur und Wachstum beim IfW Kiel und Mitglied im Arbeitskreis Steuerschätzungen des Bundesministeriums der Finanzen. Bild: IfW Kiel | Studio 23

Herr Boysen-Hogrefe, wie bewerten Sie das wirtschaftspolitische Erbe der Ampel?

Vieles, was wir derzeit an Unbill erleben, kann man der Ampel wirklich nicht anlasten. Die äußeren Umstände haben sich rasant geändert. Den Krieg in der Ukraine und die wirtschaftspolitische Neuausrichtung des Industriegiganten Chinas, die sich sehr negativ auf die deutsche Wirtschaft auswirken, hat sie natürlich nicht zu verantworten. Keine Bundesregierung hätte solche Schocks abpuffern können. Doch fehlte dieser heterogenen Regierung zugleich das Potenzial, eine wirkliche Zeitenwende zu gestalten. Kompromisse mussten auf zu viele Gruppierungen innerhalb von gleich drei Parteien Rücksicht nehmen.

So gab es dann auf dem Höhepunkt der Energiekrise zum Beispiel statt längerer Laufzeiten und Tempolimit die AKW-Abschaltung und den Tankrabatt. Es gab die Tendenz, Herausforderungen eher zu bemänteln als zu gestalten, was vom Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts im Herbst 2023 zusätzlich erschwert wurde. Die Herausforderungen des demografischen Wandels, der neuen sicherheitspolitischen Lage, eines kränkelnden Gesundheitswesens und eines an Attraktivität verlierenden Wirtschaftsstandorts werden – Stand jetzt – an die kommende Regierung weitergereicht.    

Welche wirtschaftspolitischen Vorhaben sollte die Minderheitsregierung in einer möglichen Zusammenarbeit mit der Union vor den Neuwahlen noch durch das Parlament bringen?

Der Wirtschaftsstandort hat in den Krisen der vergangenen Jahre und während einer langen „Wohlfühlphase“ Federn gelassen. Bei den Themen Infrastruktur, Bildung und Forschung braucht es weitere Impulse. Zusätzliche Ausgaben oder umfangreiche Umschichtungen im Haushalt sind aber sehr unwahrscheinlich. Zu hohe Regulierungsintensitäten in vielen Bereichen behindern den Wohnbau, die Entfaltung einer wissensbasierten Wirtschaft, den Außenhandel, die Transformation der Energiewirtschaft und viele andere Bereiche. Zum Teil ist der Nutzen dieser Regulierungen zweifelhaft oder steht in keinem ordentlichen Verhältnis zu den Einschränkungen, die sie bringen. Hier ließe sich günstig etwas machen, aber jede Regulierung hat halt auch ihre Fürsprecher.

Am dringlichsten erscheint mir, dass es gelingt, die Finanzierung der Sicherheitspolitik gemeinsam auf den Weg zu bringen. Das Thema ist zu bedeutend, als dass es Verhandlungsgegenstand zum Beispiel in der Renten- oder Steuerdiskussion werden darf.

Welche Folgen hätte ein monatelanger politischer Stillstand für die wirtschaftlichen Aussichten Deutschland und Europas? Gerade vor dem Hintergrund des Wahlergebnisses in den USA und des Krieges in der Ukraine.

Uns stehen nach den Aussagen des Kanzlers viele Monate der sogenannten vorläufigen Haushaltsführung bevor. Es werden nur die Ausgaben getätigt, zu denen bereits eine Verpflichtung besteht. Regierungshandeln ist dadurch deutlich eingeschränkt. Zu groß mag der Unterschied zu einer sich gegenseitig neutralisierenden Ampel-Regierung nicht sein, aber angesichts der aufziehenden sicherheits- und handelspolitischen Herausforderungen wäre eine handlungsfähige Bundesregierung mit entsprechenden Budgetmöglichkeiten wünschenswert. Je schneller die Neuwahlen kommen, desto besser. 

Welche wirtschaftspolitischen Forderungen/Wünsche haben Sie an die im kommenden Jahr neu gewählte Regierung?

Verglichen mit der Vor-Corona-Zeit ist die Welt eine andere geworden. Die Zinsen höher, die sicherheitspolitische Herausforderung immens und das bei gleichzeitigem demografischen Wandel, klimapolitischen Dringlichkeiten und einem beschleunigten Strukturwandel. Die deutsche Wirtschaft hat an Dynamik verloren. Die öffentlichen Haushalte müssen an diese neuen Realitäten angepasst werden. Selbst mehr neue Schulden werden dem nicht gerecht, wenn nicht die Stabilität aufs Spiel gesetzt werden soll. Es braucht einen effizienteren Staat und eine Neuausrichtung seiner Zuständigkeiten. Je mehr Wirtschaftswachstum, desto moderater kann ein solcher, wirklich unangenehmer Prozess durchgeführt werden.

Als erster Schritt wäre schon etwas gewonnen, wenn in der Politik kommuniziert würde, dass Neues ansteht und zugleich nicht alles Alte erhalten bleiben kann. Die anstehenden Reformen werden Einschränkungen mit sich bringen.


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Alexander Krüger ist Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Bild Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank

Herr Krüger, wie bewerten Sie das wirtschaftspolitische Erbe der Ampel?

Im privaten Bereich würde ein solches Erbe sicherlich ausgeschlagen werden. Es kommt jetzt zuallererst darauf an, die Verunsicherung in Zuversicht umzukehren und damit Abwanderungstendenzen von Unternehmen ins Ausland zu stoppen. Dann klettern auch die Stimmungsindikatoren aus dem Keller.

Welche wirtschaftspolitischen Vorhaben sollte die Minderheitsregierung in einer möglichen Zusammenarbeit mit der Union vor den Neuwahlen noch durch das Parlament bringen?

Oberste Priorität sollte es jetzt sein, nichts zu überstürzen, dennoch aber den Haushalt 2025 zu sichern. Wenn dann noch Zeit ist, könnte die kalte Progression noch angegangen werden. Ansonsten dürfte gelten: Der Wahlkampf hat begonnen.

Welche Folgen hätte ein monatelanger politischer Stillstand für die wirtschaftlichen Aussichten Deutschland und Europas? Gerade vor dem Hintergrund des Wahlergebnisses in den USA und des Krieges in der Ukraine.

Gerade mit Blick auf die USA ist es dringend notwendig, schnell an Handlungsstärke zu gewinnen. Es wäre deshalb besser, wenn der Kanzler die Vertrauensfrage noch vor Weihnachten stellen würde.

Welche wirtschaftspolitischen Forderungen/Wünsche haben Sie an die im kommenden Jahr neu gewählte Regierung?

Wichtig ist eine Grundhaltung, in der sich der Staat zurückhält und Privathaushalte und Unternehmen nicht bevormundet. Dazu zählt besonders Technologieoffenheit. Daneben sollte der Fokus klar auf einer Stärkung der Standortfaktoren liegen. Die Attraktivität des Standorts wird sich aber wohl nur mit einem mehrjährigen Prozess steigern lassen.