Kurzarbeitergeld - Bremse für den Strukturwandel?

IKB-Studie: Verlängerung der Hilfen zu früh - Krisenmaßnahme kann kontraproduktiv sein

Kurzarbeitergeld - Bremse für den Strukturwandel?

ast Frankfurt – Die Debatte über das Kurzarbeitergeld ist in Deutschland in vollem Gang. Nach wie vor sind in vielen Branchen die Betriebe nicht voll ausgelastet. Das Kurzarbeitergeld soll Unternehmen wie Arbeitnehmern durch die Krise helfen. Doch einig sind sich die Gelehrten in dieser Sache nicht. Gewerkschafter begrüßen die Fortzahlung. Arbeitgeber hingegen kritisierten die pauschale Aufstockung.Auch die Ökonomen sind sich uneinig: Die einen sehen Risiken für die Finanzpolster der Arbeitslosenversicherung und befürchten eine Entlassungswelle zu einem Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaft eigentlich schon wieder auf dem Weg nach oben ist. Die anderen sehen das Kurzarbeitergeld als eine Maßnahme, die während der Krise die Abwanderung von Fachkräften aus den Unternehmen verhindert. Denn sonst würden unbesetzte Arbeitsplätze ihnen zufolge den Aufschwung drosseln.Angesichts der konjunkturellen Erholung, die Bundesregierung wie Wirtschaftsforschungsinstitute für das dritte und vierte Quartal erwarten, sei nun der richtige Zeitpunkt, um über ein Auslaufen der Fortzahlung des Kurzarbeitergeldes durch den Staat zu sprechen, fordert Klaus Bauknecht, Chefvolkswirt der Deutschen Industriebank, in einer Analyse, die der Börsen-Zeitung vorab vorliegt. Der Ökonom warnt: Das Kurzarbeitergeld könne sich auch als Bremse erweisen. Die wirtschaftliche Entwicklung ist laut Bauknecht fragil. Zwar werde es zweifelsohne ein Wachstum geben bis Jahresende. Der Blick aufs kommende Jahr berge hingegen große Unsicherheiten: “Die entscheidende Frage ist, ob die Wachstumsdynamik im Jahr 2021 primär von den Auswirkungen der Coronakrise getrieben wird oder eher von einer ,neuen Normalität` in der generellen Konjunkturentwicklung.”Immerhin hat das Wachstum auch vor dem Lockdown im Frühjahr schon merklich an Schwung verloren. Seit mehr als fünf Quartalen sind die Investitionen in Ausrüstung rückläufig, und der Export schwächelte schon in der ersten Jahreshälfte 2019. Während 2020 das Jahr der Krise war, sei der Ausblick für die kommenden beiden Jahre auch abhängig von der grundsätzlichen Konjunkturdynamik und Wachstumsperspektive der deutschen Wirtschaft. “Die Frage nach den Wachstumstreibern in den Jahren 2021 und 2022 ist deshalb entscheidend, weil beim Kurzarbeitergeld von einer temporären Reaktion auf die Coronakrise gesprochen wird”, erklärt Ökonom Bauknecht. Langfristige AuswirkungenZiel der aktuellen Arbeitsmarktpolitik ist es, die Effekte der Krise auf dem Arbeitsmarkt gering zu halten. Nicht zuletzt deshalb, weil die Industrie nach dem Ende der beschränkenden Maßnahmen die Fachkräfte benötigt, um die Produktion wieder hochzufahren. Hier hatte sich das Kurzarbeitergeld schon in der Finanzkrise bewährt.Die Auswirkungen der Coronakrise werden jedoch längerfristig spürbar sein. Wenn Löhne und Arbeitskräfte nicht angepasst werden, könnten sich strukturelle Veränderungen verzögern. “Aus dieser Sicht ist die Zahlung von Kurzarbeitergeld als Krisenmaßnahme über zwei Jahre womöglich eher kontraproduktiv”, warnt IKB-Ökonom Bauknecht. Eine steigende Arbeitslosenquote habe nicht nur negative Folgen, sondern würde auch die realen Lohnkosten unter Druck setzen und so die Fähigkeit der Wirtschaft steigern, produktive, nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn Unternehmen, die im Strukturwandel an der Kante stünden, nicht darüber gestoßen würden, werde das Kurzarbeitergeld “zur strukturerhaltenden Maßnahme”, warnte auch der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Lars Feld.Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, schlägt ähnliche Töne an. “Die Kurzarbeit übertüncht die angespannte Situation am Arbeitsmarkt”, analysierte er Anfang des Monats anlässlich des deutschen Arbeitsmarktberichts. Dass die Industrie mit unterausgelasteten Produktionskapazitäten kämpfe, stehe nicht nur in Zusammenhang mit Corona, sondern etwa auch mit dem Strukturwandel in der Autoindustrie. Zwar sei das Jahr 2021 wohl aus ökonomischer Sicht noch schwerer zu prognostizieren als das laufende Jahr, so Bauknecht. Die Unternehmen müssten sich aber an die neue Normalität anpassen. Bauknecht zufolge wurde die Verlängerung des Kurzarbeitergelds durch die Bundesregierung verfrüht entschieden.Die Wirtschaftsentwicklung und IKB-Schätzungen lassen vermuten, dass es im zweiten Quartal 2020 eine Überkapazität von 3 Millionen Arbeitnehmern gab (siehe Grafik). Dieser Überschuss könne bis Ende 2020 auf 1,3 Millionen reduziert werden, so die IKB. Sollte die Wirtschaft ihr Vorkrisenniveau tatsächlich bis Ende 2021 wieder erreichen, drohe nur eine geringe Gefahr eines Stellenabbaus. Nimmt man allerdings die Finanzkrise zum Vergleich, sieht das Bild düsterer aus. Damals dauerte es drei Jahre, bis das Bruttoinlandsprodukt sein Vorkrisenniveau wieder erreichte.