EZB

Lagarde beruhigt – Weidmann warnt

Beim European Banking Congress dreht sich vieles um die Geldpolitik der EZB. EZB-Chefin Christine Lagarde widerspricht Inflationssorgen und rät zu Ruhe. Bundesbankpräsident Jens Weidmann dagegen warnt vor Risiken und mahnt Wachsamkeit an.

Lagarde beruhigt – Weidmann warnt

ms Frankfurt

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich noch einmal eindringlich gegen zunehmende Inflationssorgen gestemmt und einer raschen Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik eine klare Absage erteilt. „Wir bleiben zuversichtlich, dass der Inflationsdruck mit der Zeit nachlassen wird“, sagte sie am Freitag beim virtuellen European Banking Congress: „Die Geldpolitik muss geduldig und beharrlich sein.“ Dagegen warnte Bundesbankpräsident Jens Weidmann bei der Konferenz erneut vor Inflationsrisiken und mahnte: „Die Geldpolitik darf sich nicht zu lange auf den derzeit sehr expansiven Kurs verpflichten.“

Knapp einen Monat vor der wegweisenden EZB-Sitzung am 16. Dezember dokumentieren die Aussagen eindrucksvoll die Differenzen im EZB-Rat über die Inflationsaussichten und die angemessene geldpolitische Reaktion. Bei dem Treffen im Dezember wollen die Euro-Hüter Weichen für die künftige Geldpolitik stellen. Als sicher gilt, dass die Notenbanker beschließen werden, das Co­rona- Notfallanleihekaufprogramm PEPP zu beenden. Was danach kommt, ist aber heftig umstritten.

Erst am Mittwoch hatte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel erstaunlich offen gesagt, dass es Meinungsverschiedenheiten im Rat gebe über die Dauer der aktuellen Preistreiber und was diese für die Antwort der Geldpolitik bedeuteten. Das hatten jüngste Kommentare angedeutet (vgl. u.a. BZ vom 5. November). Einige Notenbanker machen sich Sorgen über die anhaltend hohe Inflation und signalisieren notfalls Handlungsbereitschaft. Andere dagegen sehen den Inflationsschub weiter als temporär an und wollen keine Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik.

Seit Jahresbeginn hat die Inflation im Euroraum unerwartet stark angezogen. Im Oktober kletterte sie sogar auf 4,1% – so hoch wie überhaupt erst einmal seit der Euro-Einführung im Jahr 1999. Das hat zwar viele Gründe, die als vorübergehend gelten. Dazu gehören Basiseffekte infolge der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung in Deutschland, der rasante Anstieg der Energiepreise und die weltweit anhaltenden Materialengpässe. Inzwischen wachsen aber die Zweifel, dass es nur ein temporärer Inflationsschub ist. Zu­gleich verliert die Euro-Wirtschaft aber an Schwung – wegen der vierten Coronawelle und den Lieferengpässen.

Lagarde äußerte sich nun kritischer zum jüngsten Inflationsanstieg als zuvor. „Diese Inflation ist unerwünscht und schmerzhaft – und es gibt natürlich Bedenken, wie lange sie anhalten wird“, sagte sie: „Wir nehmen diese Sorgen sehr ernst und beobachten die Entwicklungen sorgfältig.“ Insbesondere sei den Euro-Hütern bewusst, dass eine höhere Inflation die Realeinkommen der Menschen drücke – „vor allem derjenigen am unteren Ende der Einkommensverteilung“, wie sie sagte. Lagarde kämpft damit auch gegen den Eindruck und die Kritik, die Europäische Zentralbank (EZB) nehme solche Sorgen, nicht zuletzt aus Deutschland, nicht ernst.

Zugleich machte sie aber auch sehr klar, dass zumindest sie und wohl die Mehrheit im EZB-Rat den Inflationsanstieg weiter als vorübergehend ansehen. Länglich führte sie viele Argumente an, die diese These stützen sollten. Sie sprach sich deshalb erneut gegen eine „Überreaktion“ und eine „voreilige Straffung“ aus. „Die Geldpolitik muss geduldig und beharrlich sein“, sagte sie. „Auch nach dem erwarteten Ende der Pandemie-Notlage wird es wichtig sein, dass die Geldpolitik den Aufschwung und die nachhaltige Rückkehr der Inflation zu unserem Ziel von 2% unterstützt.“ Konkret bezeichnete sie Zinserhöhungen im Jahr 2022 erneut als „sehr unwahrscheinlich“. Die Märkte spekulieren aktuell darauf.

Dagegen warnte Bundesbankchef Weidmann nur wenige Stunden nach Lagarde, dass es sehr wohl sein könne, dass die Euro-Inflation auch mittelfristig nicht wieder unter das 2-Prozent-Ziel der EZB falle. Höhere Inflationserwartungen und ein stärkeres Lohnwachstum könnten den Preisdruck mittelfristig verstärken.

„Wir sollten das Risiko einer zu hohen Inflation nicht ignorieren und stattdessen wachsam bleiben“, sagte Weidmann, der Ende des Jahres vorzeitig aus dem Amt scheidet – auch aus Frust über die ultralockere Geldpolitik der EZB. Angesichts „der beträchtlichen Ungewissheit über die Inflationsaussichten“ solle sich die EZB nicht zu weit im Voraus festlegen. Falls nötig, müsse die Geldpolitik „normalisiert“ werden.

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