EZB-Strategie

Lagarde schürt EZB-Spekulationen

Nach 18 Jahren hat sich die EZB erstmals eine neue Strategie verordnet, in deren Mittelpunkt ein neues Inflationsziel von glatt 2% steht. Wie sich das konkret in der Praxis auswirken wird, wird heiß diskutiert.

Lagarde schürt EZB-Spekulationen

ms Frankfurt

Nach der Entscheidung über die neue geldpolitische Strategie der Europäischen Zentralbank (EZB) nimmt die Debatte über den weiteren geldpolitischen Kurs der Euro-Hüter mächtig Fahrt auf – wobei womöglich schon bald wegweisende Entscheidungen anstehen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde stellte am Montag bereits für die näch­ste Zinssitzung am 22. Juli Änderungen an der Forward Guidance der EZB in Aussicht, also am Ausblick für die Entwicklung der Leitzinsen und der Anleihekaufprogramme. Derweil kündigte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos an, dass der EZB-Rat schon bald über den Übergang vom Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP auf andere Programme entscheiden werde.

Die EZB hatte sich vergangene Woche erstmals seit 18 Jahren eine neue Strategie verordnet, in deren Zuge sie künftig ein mittelfristiges Inflationsziel von glatt 2% anstrebt, das zudem explizit symmetrisch angelegt ist – das heißt, dass zu niedrige Inflationsraten grundsätzlich als ebenso unerwünscht gelten wie zu hohe. Zudem will sie bei Bedarf explizit höhere Inflationsraten tolerieren, um mittelfristig 2% zu erreichen. Mit der neuen Strategie verschafft sich die EZB mehr Spielraum bei der Inflation und macht nach verbreiteter Einschätzung einen großen Schritt in Richtung einer noch deutlich länger ultralockeren Geldpolitik. Wie sich die neue Strategie konkret niederschlagen werde, ist seitdem ein viel diskutiertes Thema unter Marktteilnehmern und Volkswirten.

Lagarde sagte jetzt in einem in der Nacht zu Montag veröffentlichten Interview, dass die Sitzung des EZB-Rats am 22. Juli – von der bisher erwartet wurde, dass sie relativ ereignislos sein würde – nun „einige interessante Variationen und Veränderungen“ mit sich bringen werde. „Das wird ein wichtiges Treffen sein“, sagte Lagarde zu Bloomberg TV am Rande des G20-Treffens am Wochenende in Venedig: „Angesichts der Beharrlichkeit, die wir zeigen müssen, um unsere Zusagen zu erfüllen, wird die Forward Guidance sicherlich überprüft werden.“

Bei der EZB enthält die Forward Guidance unter anderem Aussagen dazu, unter welchen Bedingungen die Leitzinsen künftig wieder steigen werden, und Angaben zum voraussichtlichen Ende der Anleihekaufprogramme wie etwa auch des 1,85 Bill. Euro schweren Corona-Notfallanleihekaufprogramms PEPP.

Lagardes Aussagen sorgten am Montag auch deshalb für Aufsehen, weil sie durchaus überraschend kamen. Bei der Vorstellung der neuen Strategie am vergangenen Donnerstag war sie gleich zweimal ausdrücklich danach gefragt worden, welche Folgen die neue Strategie womöglich schon bei der Juli-Sitzung haben könnte. Darauf wurde sie wenig konkret, was bei vielen Beobachtern den Eindruck erweckte, es werde unmittelbar keine großen Neuerungen geben.

„Die Formulierung der Forward Guidance muss verändert werden, um die neue Definition der Preisstabilität einzubeziehen“, sagte auch EZB-Vize de Guindos am Montag auf einer Veranstaltung der Denkfabrik OMFIF. Lagardes Aussagen weckten aber Spekulationen, dass es nicht allein darum geht, das neue Ziel von glatt 2% statt bisher „unter, aber nahe 2%“ aufzunehmen. Zumindest einige Hardliner im EZB-Rat dürften jedoch zu weitgehende Neuformulierungen ablehnen, die die niedrigen Zinsen noch viel länger zementieren.

Für einiges Aufsehen sorgte auch Lagardes Aussage, dass das PEPP-Programm bis mindestes Ende März 2022 laufen und darauf dann ein „Übergang in ein neues Format folgen“ könnte. Mehr ins Detail ging sie aber nicht. Während einige Euro-Hüter PEPP als Kriseninstrument wenn möglich alsbald beenden wollen, mahnen andere zur Vorsicht. EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta hatte zuletzt dafür geworben, die bei PEPP angelegte große Flexibilität auf andere Programme zu übertragen.

EZB-Vize de Guindos sagte am Montag, dass der EZB-Rat bald darüber beraten werde, wie er ohne PEPP für ausreichend geldpolitische Unterstützung sorgen werde. „Wir haben den Übergang vom PEPP zu anderen Programmen nicht diskutiert, darüber wird der EZB-Rat in naher Zukunft beschließen.“