Staatsanleihen

Langläufer für Deutschland!

Wir befinden uns in einem Umfeld historisch niedriger Zinsen. Für den Bund liegt die gesamte Zinskurve unter null, bis hin zu 30-jährigen Anleihen. Was für Deutschland gilt, gilt auch für andere Mitgliedstaaten des Euroraums und zumeist auch darüber...

Langläufer für Deutschland!

Wir befinden uns in einem Umfeld historisch niedriger Zinsen. Für den Bund liegt die gesamte Zinskurve unter null, bis hin zu 30-jährigen Anleihen. Was für Deutschland gilt, gilt auch für andere Mitgliedstaaten des Euroraums und zumeist auch darüber hinaus: Nie war es für Staaten günstiger, sich mit Krediten zu versorgen. Dies hat viele Staaten dazu bewogen, immer länger laufende Anleihen zu begeben, um auch zukünftige Generationen von dieser Ausnahmesituation profitieren zu lassen. Österreich, Belgien oder Irland haben sogar Jahrhundertanleihen begeben. Deutschland sollte diesem Beispiel folgen.

Bislang hält der Bund allerdings an seiner traditionellen Anleihen-Emissionspolitik fest, als wäre alles beim Alten. Die Finanzagentur konstatiert, dass deutsche Bundesanleihen dank der „glaubwürdigen und auf Kontinuität bedachten“ Emissionspolitik seit Jahren die Benchmark im Euroraum seien. Tatsächlich ist der Benchmarkstatus aber zuallererst der Tatsache geschuldet, dass Deutschland von Kapitalmarktteilnehmern seit Jahrzehnten als Stabilitätsanker in Europa wahrgenommen wird. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in der Tatsache wider, dass Deutschland der letzte große Staat im Euroraum mit einem „AAA“-Kreditrating ist. Die privilegierte Position als Benchmark fußt also zuallererst auf dem Vertrauen in die Sicherheit der Anleihen, nicht auf der „Kontinuität“ des Finanzierungsprogramms. Denn professionelles und transparentes Schuldenmanagement ist kein deutsches Alleinstellungsmerkmal. Das Vertrauen in die Bonität dagegen schon.

Während der langen Phase der Budgetüberschüsse (2014 bis 2019) wurde bisweilen die Sorge laut, neue Refinanzierungsinstrumente des Bundes könnten zu einer Fragmentierung der Emissionen führen und womöglich deren Liquidität und Benchmark-Eigenschaften gefährden. Diese Sorge führte unter anderem auch schon dazu, dass Deutschland ein Nachzügler auf dem Markt für Grüne Staatsanleihen wurde. Aber diese Bedenken sind spätestens seit Corona obsolet geworden.

Wenn auf absehbare Zeit etwas nicht droht, dann ist es ein Mangel an Finanzierungsbedarf des Bundes. Im Gegenteil: Allein die Neuverschuldung des Bundes betrug im Jahr 2020 laut vorläufigem Haushaltsabschluss 131 Mrd. Euro, und der Finanzplan des Bundesfinanzministeriums sieht noch einmal 96 Mrd. Euro in diesem Jahr vor. Zugleich sinkt die Zinsbelastung der öffentlichen Hand dieses und nächstes Jahr auf das Rekordtief von 0,6% des BIP. Tendenz fallend. Zum Vergleich: vor der Finanzkrise lag die Zinsbelastung der Bundesrepublik bei über 2,5% des BIP!

Dieser günstige Zinstrend muss nachdrücklicher und nachhaltiger genutzt werden. Denn wenn sich Deutschland heute die niedrigen Zinsen langfristig sichert, öffnen sich finanzielle Spielräume für zukünftige Generationen! Dieser Spielraum kann dann für Jahrzehnte nachhaltig für Maßnahmen genutzt werden, um den ökologischen und sozialen Herausforderungen des Landes zu begegnen.

Daten der OECD zeigen, dass die große Mehrheit der Industrieländer die Niedrigzinsphase genutzt hat, die durchschnittliche Restlaufzeit der Staatsschulden zum Teil erheblich zu verlängern. Deutschland ist hier eine unrühmliche Ausnahme. Die Zinsbindungsfrist 2019 (6,9 Jahre, ohne Swaps) ist fast auf dem gleichen Niveau wie 2007 (6,5 Jahre). Im gleichen Zeitraum hat die Schweiz die Zinsbindungsfrist von 7 auf 11 Jahre erhöht und Großbritannien von 14 auf 18 Jahre. Es an der Zeit, dass die Bundesregierung dem Beispiel anderer Staaten folgt und die Staatsschuld längerfristig ausrichtet.

Selbst das finanziell deutlich schwächer aufgestellte Nordrhein-Westfalen hat bereits Anleihen mit hundertjähriger Laufzeit begeben – zuletzt Anfang Januar, mit einem bis 2120 fixierten Zinssatz von unter 1%. Österreich zahlt noch weniger. Sogar Schwellenländer wie Mexiko und Indonesien haben 50-jährige Anleihen begeben, von der Jahrhundertanleihe Argentiniens (!) gar nicht zu sprechen. Investoren wie Versicherungen nehmen diese Langläufer im derzeitigen Marktumfeld mit Kusshand. Schwellenländer konnten 2020 über 20 Mrd. Dollar an ultralangen Anleihen verkaufen. Die Investorenlegende George Soros plädierte jüngst sogar für „ewige Anleihen“.

Von welchen Beträgen sprechen wir? Nehmen wir an, Deutschland reserviert 10% (gut 20 Mrd. Euro) des für 2021 geplanten Emissionsvolumens für 100-jährige Anleihen und muss darauf einen (konservativ geschätzten) Zins von 1% pro Jahr zahlen. Wenn man zugleich annimmt, dass der durchschnittliche nominale Zinssatz über das kommende Jahrhundert hinweg 3% betragen wird, dann ergeben sich daraus über die Zeit Zinsersparnisse von 40 Mrd. Euro, über 1% des heutigen BIP! Dieser Betrag würde proportional anwachsen, wenn die Umschichtung hin zu Langläufern auch 2022 und in den Folgejahren beibehalten würde. Wie kann man es heutigen, wie zukünftigen Steuerzahlern vermitteln, weshalb diese Chance nicht beim Schopfe ergriffen wird?

Die Emission einer 100-jährigen Anleihe wäre nur dann nicht sinnvoll, wenn man davon ausginge, dass der Bund in 100 Jahren längst schuldenfrei wäre und/oder das beispiellose Zinsniveau bis 2121 anhalten wird. Beides sehr gewagte Thesen. Die Finanzagentur hat seit ihrer Gründung im Jahre 2000 ihre Fähigkeit zu professionellem und transparentem Schuldenmanagement nachdrücklich unter Beweis gestellt. Dazu muss man ihr gratulieren. Aber was Innovationen angeht, gibt sie sich vornehm zurückhaltend. Im Sinne des deutschen Steuerzahlers der Zukunft sollte sie sich dieser Zurückhaltung alsbald entledigen. Am besten sofort: denn wer weiß schon, wie lange die Zinsen auf dem derzeitigen Niveau verharren werden.