Lindner will kalte Progression ausgleichen
wf Berlin
Mit dem Referentenentwurf eines „Inflationsausgleichsgesetzes“ macht Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) einen ersten konkreten Schritt, um die sogenannte kalte Progression im Einkommensteuertarif auszugleichen. Demnach soll die Entlastung 2023 rund 10,1 Mrd. Euro betragen. Ein Jahr später steigt das Entlastungsvolumen laut Referentenentwurf auf 17,5 Mrd. Euro, wenn alle Maßnahmen greifen. Vorgesehen ist, Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag und Kindergeld sowie den Höchstbetrag für den Abzug von Unterhaltsleistungen in zwei Schritten anzuheben. Rückwirkend zum Jahresbeginn 2022 soll zudem der Grundfreibetrag steigen.
Am teuersten ist die Verschiebung des Tarifverlaufs der Einkommensteuer: Der Spitzensatz von 42% greift damit 2023 erst bei einem Jahreseinkommen von 61972 Euro und 2024 von 63515 Euro bei Singles. Für Ehepaare gilt das Doppelte. Aktuell werden Einkommen ab 58597 Euro mit dem Spitzensatz besteuert. Nicht verändern will Lindner die Einkommenshöhe der sogenannten Reichensteuer. Bei der Einführung galt der Steuersatz von 45% für Einkommen ab 250000/500000 Euro (Singles/Paare). Durch spätere Tarifanpassungen liegt die Einkommensschwelle inzwischen bei 277826 Euro. Dort soll sie dem Entwurf zufolge auch bleiben.
Kalte Progression bedeutet, dass Lohnerhöhungen zum Inflationsausgleich in der Tasche des Fiskus und nicht in der des Arbeitnehmers landen. Der Arbeitnehmer gerät durch die Lohnerhöhung in eine höhere Progressionsstufe und zahlt damit prozentual und effektiv mehr Steuern. Bei einer Entlastung von der kalten Progression senkt der Staat nicht die Steuern, sondern verzichtet auf Mehreinnahmen, die er durch die Steuer auf höhere Löhne hätte.
Lindner hat im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2023 rund 9,1 Mrd. Euro Steuermindereinnahmen eingeplant, um den Ausgleich der kalten Progression zu finanzieren. Ein Puffer von 5 Mrd. Euro für Mehrausgaben ist für die Pandemie und die Folgen des Ukraine-Kriegs reserviert. Für weitere Entlastungen – wegen hoher Inflation und Energiepreise – gebe es dieses Jahr keine Mittel mehr im Etat, heißt es im Bundesfinanzministerium.
SPD und Grünen kritisieren, dass durch die Pläne Lindners vor allem obere Einkommensklassen entlastet werden. Die SPD dringt auf Einmalzahlungen für schwache Einkommensgruppen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will obere Einkommensklassen mit einem höheren Spitzensatz belegen, um die Entlastung der unteren Einkommen zu finanzieren. Im Bundesfinanzministerium wird dagegen argumentiert, dass beim Ausgleich der kalten Progression untere Einkommensgruppen relativ stark profitierten. So sinke bei einem Jahreseinkommen von 15000 Euro die Steuerlast um 10%; bei einem Jahreseinkommen von 100000 Euro liege der Effekt nur bei knapp 2%. Wer 2023 mehr für den sozialen Ausgleich ausgeben wolle, müsse die Finanzierung mitliefern, wird in Lindners Haus betont.
Nach der Sommerpause des Bundestags will Lindner im September den Gesetzentwurf durch das Bundeskabinett bringen, verlautete aus dem Ministerium. Anfang September beginnt der Bundestag seine Beratung über den Etat 2023. Die Zeit drängt, wenn die Neuregelung zum Jahresbeginn 2023 in Kraft treten soll. Den turnusgemäßen Steuerprogressionsbericht und den Existenzminimumsbericht dürfte Lindner im Oktober mit aktualisierten Daten vorlegen. Der Referentenentwurf stützt sich noch auf die Frühjahrsprojektion der Bundesregierung mit Inflationsraten von 6,1% und 2,8% in diesem und im nächsten Jahr. Eine Anpassung im Herbst ist denkbar.