Machtwechsel in Argentinien

Wahlsieger Macri vor fast unlösbarer Aufgabe - Peronisten haben Schlüsselpositionen besetzt

Machtwechsel in Argentinien

Von Andreas Fink, Buenos AiresAm Morgen danach war ihm der Sieg deutlich anzusehen. Keine elf Stunden, nachdem Mauricio Macri getanzt und gefeiert hatte, bat der erschöpfte Noch-Hauptstadt-Bürgermeister zur ersten Pressekonferenz. Dass der 56-Jährige schon am Morgen darauf mit den Medien sprach, war alles andere als ein Akt republikanischer Routine – es war ein Fanal des Wandels. Zwölf Jahre lang hatten sich Néstor und Cristina Kirchner geweigert, sich offen den Medien zu stellen. Eine Abkehr vom kirchnerischen Führungskult war für Macri auch eines seiner wichtigsten Wahlversprechen. Und es ist eines der wenigen, die sich ab dem ersten Tag einlösen lassen.Alles andere wird wohl aufwendiger, schwieriger und womöglich auch langwieriger, als es die optimistisch-unkonkrete Wahlkampagne andeutete. Als Macri am Montagmorgen nach seinen wirtschaftlichen Vorhaben gefragt wurde, antwortete er, er könne das nicht beantworten, denn er wisse ja noch gar nicht, welchen Kassenstand er am 10. Dezember erben werde, wenn ihm Kirchner die Amtsschärpe überstreifen wird. Notenbank missbraucht?Das ist ein Verweis auf den aberwitzigen Umgang mit staatlichen Statistiken unter Kirchner und auf viele undurchsichtige Manöver, mit denen Kirchners Administration den Wählern eine Scheinprosperität bis zum Wahltag vorgaukelte. So verkaufte die Zentralbank bis vorige Woche Dollar-Future-Papiere, die bei ihrer Fälligkeit im März ein gewaltiges Loch in die Staatsfinanzen reißen können. Das rief inzwischen auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Es wird vermutet, dass sich die Kirchner-Administration kurz vor Kassenschluss ein weiteres Milliardenpolster verschaffen wollte, um die kommenden Jahre fernab staatlicher Geldflüsse überstehen zu können.Im Rahmen dieser Ermittlungen wurden mehrere frühere Zentralbankchefs vernommen. Einer von ihnen, der 2010 im Streit geschiedene Martín Redrado, schätzt, dass dem Land nur noch 3,5 Mrd. Dollar an Währungsreserven bleiben. Das ebenfalls krisengeplagte Brasilien hat derzeit mehr als hundertmal so viel auf der hohen Kante.Macri, das ist klar, braucht schnell frische Dollar – und die gibt es nur auf den Feldern. Argentiniens Farmer haben in der Hoffnung auf einen Machtwechsel seit Jahren Körner gehortet, in der ganzen Pampa liegen gigantische Plastikwürste voller Soja und Mais, die nun zu Geld gemacht werden könnten, wenn Macri die Exportzölle senkt oder gar abschafft. Allgemein wird vermutet, dass Macri Weizen und Mais von Abgaben befreit und das Soja, das unter Kirchner ein Zehntel aller Steuereinnahmen einbrachte, zumindest temporär nicht besteuert wird. Kirchners neue SchuldenUm die Erneuerung anzuschieben, mögen rund 7 Mrd. Dollar reichen, doch wird Argentinien viel mehr brauchen: Die Importeure des Landes haben zwischen 6 und 10 Mrd. Dollar Schulden bei ihren Lieferanten angehäuft, weil Kirchner keine Devisen mehr freigab. Alle Exportbranchen liegen danieder, weil der mindestens um 50 % überbewertete Peso Wein, Äpfel, aber auch Agrartechnik viel zu teuer für den Weltmarkt macht. Und Investitionen kommen nicht ins Land, solange die Regierung an den Währungskontrollen festhält. Kein Investor will sich verbieten lassen, sein in der Pampa oder in Patagonien angelegtes Geld wieder heimzutransferieren.Allgemein wird erwartet, dass Macri eine Lösung mit den Altschuldnern des Landes anstrebt. Im Gegensatz zu Kirchner hatte er niemals die New Yorker Hedgefonds als “Geier” bezeichnet und war seit Jahren für eine Verhandlungslösung, was ihm hysterische Beschimpfungen der Kirchner-Truppe eintrug. Diese Gespräche könnten bald beginnen, doch eine endgültige Einigung wird die Zustimmung des Parlaments brauchen. Und diese wird nicht einfach zu bekommen sein. Lähmende DevisenkontrollenIn einer frühen Phase des Wahlkampfes hatte Macri versprochen, die “Fußfessel”, so der volkstümliche Begriff für die Devisenkontrolle, am ersten Tag seiner Regierung abzuschaffen. Doch nun muss er wohl dieses Wahlversprechen brechen, denn die Freigabe des Dollar könnte einen Sturm auf die Banken auslösen und die mageren Währungsreserven vernichten. Auch wenn Macris Team graduell vorgehen muss: Das Ziel eines einzigen Dollarkurses (derzeit gibt es mehr als zehn) wird weiter verfolgt. Ebenso die Vorgabe, die seit zehn Jahren zweistellige Inflation zu senken; zuletzt lag diese bei etwa 25 %.Unter Kirchner nahmen die Staatsausgaben – umgerechnet in Dollar – seit 2007 um das Vierfache zu. Finanziert wurde diese Fiesta vor allem mit der Notenpresse. Macri muss nun gewaltig sparen – und das kann im notorisch streit- und streiksüchtigen Argentinien eine Welle sozialer Proteste heraufbeschwören, die sicher von den nun ausgebooteten Kirchner-treuen Basisgruppen massiv gepusht werden.Den sozialen Netzen war am Wahlabend schon ein Vorgeschmack auf die kommenden Monate zu entnehmen. Die Jugendorganisation “La Cámpora” schwor ihre Mitglieder auf die neue Maxime ein: “Resistencia!”, Widerstand.Diesem wird Macri nicht nur auf den Straßen begegnen, sondern auch im Staatsapparat. Präsidentin Kirchner hat in den letzten Monaten Ministerien, Gerichte, den Geheimdienst und öffentliche Banken mit mehr als 5 000 Getreuen vollgestopft, die zum Dank einen Teil ihres Lohnes an “La Cámpora” abführen müssen. Dieser ideologische Klientelismus wird gar in alle Welt ausstrahlen: 17 hoch dotierte Botschafterposten besetzte Kirchner zuletzt mit getreuen Kadern.Diesen verminten Staat zu regieren kann Macri nur gelingen, wenn er im Parlament weite Allianzen schafft. Denn im Kongress besetzt seine eigene Partei PRO nur 41 von 257 Sitzen. Doch selbst die 50 Mandate seiner Koalitionspartner Unión Cívica Radical (UCR) und Coalición Cívica (CC) reichen nicht für eine Mehrheit. Macri, der erste Präsident, der nicht Peronist und nicht Radical ist, wird die Hilfe von Peronisten brauchen, um das Land zu reformieren. Eine Schlüsselrolle hat dabei Sergio Massa. Der 43-Jährige war 2013 im Streit aus Kirchners Siegesfront geschieden und besetzt nun mit seiner “Erneuerungsfront” 36 Sitze im Kongress. Massa hat angekündigt, Macri zu unterstützen. Das Ego der PeronistenDoch niemand weiß, wie lange der begabte und überaus ehrgeize Peronist Massa sein Ego in den Dienst eines Nicht-Peronisten stellen wird. Allgemein wird erwartet, dass Massa auf lange Sicht den moderaten Teil der kirchnerschen Siegesfront übernehmen und bereits bei den Parlamentswahlen 2017 in breiter Front Opposition gegen Macri machen wird. Macri muss sich darauf einstellen. Schon im Dezember wird er Gehälter und Weihnachtsgelder bezahlen müssen – mit Geld, das seine Vorgängerin längst ausgegeben hat.