KommentarRechtsextremismus

Die Vergangenheit mahnt die Gegenwart

Die Bundesbank hat die Rolle der Reichsbank im Nationalsozialismus untersuchen lassen. Gerade in der jetzigen Zeit ist die Auseinandersetzung mit dem Wirken von Rechtsextremismus wichtig.

Die Vergangenheit mahnt die Gegenwart

Die Vergangenheit mahnt die Gegenwart

Von Martin Pirkl, Frankfurt

Gerade in der jetzigen Zeit ist die Auseinandersetzung mit dem Wirken von Rechtsextremismus wichtig.

Auch wenn die Bundesbank erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstand und keine Rechtsnachfolgerin der Reichsbank ist, befindet sich in ihrer Geschichte durchaus ein nationalsozialistisches Erbe. Nicht nur, weil der erste Präsident der Bundesbank, Karl Blessing, bis 1939 Karriere in der Reichsbank machte und in den anschließenden Jahren Führungsrollen für Unternehmen bekleidete, die aktiv die deutsche Kriegsführung unterstützen und KZ-Häftlinge sowie andere Gefangene für sich zwangsarbeiten ließen.

Gerade in der mittleren Führungsebene der Bundesbank und ihres Vorgängers, der Bank deutscher Länder, saßen etliche Männer, die zuvor im Nationalsozialismus eine Karriere in ähnlichen Funktionen hinlegten. Zu diesem Schluss kommt eine von der Bundesbank beauftragte neue Studie. In einer rund hundert Seiten starken Broschüre legen Historiker die Bedeutung der Reichsbank für die Finanzierung des Krieges und des Holocaust dar sowie die Kontinuitäten bei den Funktionseliten im Zentralbankwesen. Ein Sammelband sowie acht Monografien, die die einzelnen Teilprojekte noch eingehender beleuchten, sollen folgen.

Viel Nachholbedarf

Längst nicht alle Ergebnisse sind neu. Bislang fehlte aber laut Bundesbankpräsident Joachim Nagel ein umfassendes Bild der deutschen Zentralbankpolitik – vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieses liege nun vor. Reichlich spät, wenn man bedenkt, dass sich das Kriegsende im kommenden Jahr zum 80. Mal jähren wird. Anders betrachtet ist die Bundesbank aber sogar durchaus früh dran.

Die Autoren des 2022 erschienen Buches „Brauner Boden“ kommen in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass von den 100 größten Unternehmen der NS-Zeit nur 29 ihre Vergangenheit ausreichend wissenschaftlich untersucht hätten. Oftmals sei unbekannt, in welchem Ausmaß die Firmen und die dahinterstehenden Familiendynastien von Kriegsverbrechen profitiert haben.

NS-Vergangenheit als Pluspunkt

Schockierend ist in vielen Fällen auch der Umgang mit Opfern und Tätern nach Kriegsende. So musste etwa Adolf Rosenberger, einer der Mitgründer von Porsche, seine Gesellschafteranteile in Höhe von 10% 1935 an Ferry Porsche zum Spottpreis abtreten – höchstwahrscheinlich, weil er Jude war. Nach dem Krieg erhielt er seine Anteile nicht zurück, sondern wurde mit einem VW Käfer abgespeist.

Bei der Bundesbank wiederum machte Karl Blessing nicht trotz seiner Vergangenheit während des NS-Regimes Karriere, sondern gerade deswegen. Seine gesammelten Erfahrungen galten Ende der 1950er Jahre als „Qualitätsmerkmal“, wie die Historiker bei der Vorstellung der Studienergebnisse betonen. Junge Zentralbankexperten ohne belastende Vorgeschichte ließ man bei der Besetzung von Führungsämtern oft links liegen. Die Bank deutscher Länder sowie die Bundesbank in ihrer Anfangszeit setzten lieber auf „bewährte“ Kräfte.

Aus der Geschichte lernen

Nagel und dem gesamten Vorstand ist die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Bundesbank laut eigener Aussage ein ganz besonders Anliegen. Nie wieder dürfe es eine Ausgrenzung und staatliche Willkür gegen Minderheiten geben. Eine Botschaft, die immer richtig und wichtig ist, jedoch gerade in der heutigen Zeit leider dramatisch an Relevanz gewinnt.

Eine Zeit, in der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten in ganz Europa Abstiegsängste und Politikverdrossenheit ausnutzen, um Stimmen zu gewinnen. Sehr erfolgreich, wie Wahlergebnisse und Umfragen immer wieder zeigen. Eine Zeit, in der in Deutschland eine Partei immer stärker wird, in der manche von „Remigration“ von Deutschen mit ausländischen Wurzeln sprechen. Wo zudem der Spitzenkandidat der Partei für die Europawahl rassistische Aussagen wie „natürlich ist Korruption korreliert mit Kultur und Kultur mit Ethnie“ von sich gibt.

In einer solchen Zeit ist es besonders wichtig, dass sich nicht nur Institutionen wie die Bundesbank vor Augen führen, welche Folgen Rechtsextremismus haben kann. Die Gesellschaft, insbesondere die deutsche, sollte aus der Vergangenheit lernen. Längst nicht jeder Täter im Zweiten Weltkrieg war überzeugter Nationalsozialist. Auch bei Blessing ist seine ideologische Haltung unter Wirtschaftshistorikern umstritten. Die Dynamik der damaligen Zeit führte dazu, dass auch politisch nicht rechtsextreme Menschen bestimmte Personengruppen erst ausgrenzten und dann verfolgten. Das darf sich nie wieder wiederholen.


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