Mehr Börsengänge für große und kleine Unternehmen
Von Angela Wefers, Berlin
Ein leistungsfähiger Finanzstandort Deutschland steht vor der Bundestagswahl auf der Wunschliste der Finanzbranche für die neue Bundesregierung. Die Parteien bekennen sich in ihren Wahlprogrammen zwar zu Stärkung des Finanzplatzes (CDU/CSU), zu einem leistungsfähigen, sicheren und fairen Finanzmarkt (SPD) oder wollen das verspielte Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland zurückgewinnen (FDP und Grüne). Von punktuellen Ausnahmen abgesehen bleiben die Positionen aber vielfach allgemein. Dabei liefern die Akteure der Branche und die Wissenschaft reichlich Stoff, was zu tun wäre.
Unmittelbaren Handlungsbedarf sieht etwa der Bankenverband bei grenzüberschreitenden Kapitalmarktgeschäften zwischen institutionellen Marktteilnehmern. Die Vorgaben der Finanzaufsicht stuft die Interessenvertretung des privaten Bankgewerbes als „ausgesprochen rigide und komplex“ ein – verglichen mit der anderer EU-Länder. Bessere Bedingungen würden im internationalen Wettbewerb der Emissionsstandorte mehr Geschäft nach Deutschland locken, schreibt der Verband.
„Mehr Wertschätzung“
„Standortchancen erkennen und handeln“, fordert der Fondsverband BVI. Es fehle derzeit an politischer Unterstützung zur Förderung einer Kapitalmarktkultur. Zugleich erinnert der BVI daran, dass mittlerweile rund 20 Millionen Deutsche auch mit Fonds ihr Vermögen bilden – ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass es sich dabei auch um Wähler handelt. Die Politik habe aber viel zu lang einseitig auf Verbraucherschutz und Finanzmarktstabilität gesetzt, moniert der BVI. Das Regulierungsziel „Wettbewerbsfähigkeit“ des europäischen Finanzplatzes sei vernachlässigt worden. Brexit und Digitalisierung verschärften die Konkurrenz. Neben dem Verlangen nach mehr Wertschätzung für die Finanzbranche als Standortfaktor ruft der BVI die nächste Regierung auf, das Kapitalmarktverständnis hierzulande zu fördern und sich für einen „Abbau der Überregulierung in der EU“ einzusetzen.
Nachholbedarf im „Ökosystem“ Kapitalmarkt sieht auch das Deutsche Aktieninstitut (DAI) und wünscht sich eine leistungsfähige Basis für das Zusammenspiel von Kapitalgebern, Emissionsbanken und Analysten. Dies sei entscheidend für Börsengänge. Junge deutsche Wachstumsunternehmen strebten auf der Suche nach Kapital oft in den USA an die Börse, obwohl es hierzulande nicht an Geld fehle. Ein prominentes Beispiel: der Impfstoffhersteller Biontech. Dreh- und Angelpunkt für bessere Finanzierungsbedingungen sieht das DAI in einer aktienorientierten Altersvorsorge, wie sie in Schweden oder Kalifornien von staatlichen Fonds organisiert wird. Die Vorsorgegelder legten die Fonds nicht nur in Aktien an, sondern auch in vorbörslichen Finanzierungen. Damit könnten Start-ups überhaupt erst zu Börsenkandidaten werden.
Modernisierungspotenzial sieht das DAI zudem für das Aktienrecht, um die Kapitalbeschaffung für Unternehmen jeglicher Größe über den Kapitalmarkt zu beschleunigen. Das deutsche Recht mache Eigenkapitalfinanzierungen unnötig schwer und erweise sich im globalen Wettbewerb zunehmend als Nachteil, signalisieren die Finanzmarktspezialisten dem Gesetzgeber. Mindestens sechs Monate seien hierzulande nötig, um von der Einladung zur Hauptversammlung zur rechtssicheren Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister zu kommen.
Zugleich tritt das DAI für Neuerungen im Aktienrecht bei der Hauptversammlung ein und will das virtuelle Format gleichwertig neben die Präsenzversammlung stellen. Das Thema wird den neuen Bundestag noch beschäftigen, spätestens wenn die gerade verlängerte Übergangsregelung für virtuelle Hauptversammlungen in der Coronakrise Ende August 2022 ausläuft. Wie Aktionärsrechte in einer digitalen Hauptversammlung künftig ausgestaltet sein werden, dürfte noch heftig debattiert werden. Die institutionellen Investoren werten die Vorschläge des DAI und seiner Mitstreiter wie dem Industrieverband BDI als deutlichen Einschnitt in ihre Rechte. Entsprechend stark ist schon der Widerstand.
Neues Marktsegment
Bessere Finanzierungsbedingungen treiben auch das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) um. Dort hat man besonders junge Wachstumsunternehmen im Auge. Auf diese Gruppe will das ZEW den Blick der nächsten Bundesregierung lenken. Es ist eine von zehn breit angelegten Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftspolitik. Die Wissenschaftler konstatieren einen beträchtlichen Rückstand Deutschlands bei Wagniskapital, auch wenn der Markt in den vergangenen zwei Jahrzehnten gestärkt worden sei. Es fehle hierzulande ein Börsensegment für junge Technologieunternehmen.
Dies haben immerhin CDU/CSU und FDP auf ihrer Agenda. Mehr Börsengänge würden das „Finanzierungsökosystem“ für junge Unternehmen komplettieren und Kapital für alle vorgelagerten Finanzierungsstufen mobilisieren, argumentieren die Wissenschaftler. Sie setzen auch weiter auf staatlichen Rückenwind: Der mit 10 Mrd. Euro dotierte Zukunftsfonds für innovative Start-ups müsse vollständig eingeführt und der geplante Dachfonds zur Mobilisierung von Kapital institutioneller Investoren für Start-ups schnellstmöglich realisiert werden.
Positive Effekte verspricht sich das ZEW auch vom Ausbau der Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Dies haben Union und FDP und auch die Grünen auf ihrer Wahlagenda. Ob das vom ZEW geforderte Mehrheitsstimmrecht gegen die Sorge der Gründer vor Kontrollverlust der richtige Weg ist, ließe sich gleich mit der geforderten Aktienrechtsnovelle klären und verbinden.