Mexiko steht vor Linksruck

Sozialistischer Präsidentschaftskandidat könnte umfassende Macht erhalten

Mexiko steht vor Linksruck

Von Andreas Fink, Buenos Aires Vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Sonntag zeichnet sich in Mexiko ein deutlicher Sieg der politischen Linken ab. In Umfragen erreicht Andrés Manuel López Obrador, der Führer der Partei Morena, Zustimmungswerte von knapp unter 50 %; damit liegt er mehr als 20 Prozentpunkte vor dem konservativen Kandidaten Ricardo Anaya und etwa 30 Prunkte vor dem Bewerber der aktuellen Regierung Antonio Meade, der von der “Partei der institutionalisierten Revolution” (PRI) ausgewählt wurde. Gleichzeitig könnte López Obradors linke Koalition auch die Mehrheit im Kongress und im Senat erobern. Seit Mitte der neunziger Jahre verfügte kein Präsident Mexikos mehr über eine solche Machtfülle.In diesem Jahrhundert war das politische Spektrum im mit 125 Millionen Einwohnern zweitgrößten Land Lateinamerikas faktisch dreigeteilt. Zwischen 2000 und 2012 regierten die konservativen Präsidenten Vicente Fox und Félipe Calderón, ehe 2013 die PRI mit Enrique Peña Nieto zurück an die Macht fand. Peña Nieto hatte einen modernen und sauberen Relaunch der Machtmaschine PRI versprochen. Doch tatsächlich versank das Land in Korruption und Kriminalität. Dass die Erträge des steten Wirtschaftswachstums der letzten Jahrzehnte kaum zur arbeitenden Bevölkerung durchdrangen, ist wohl ein weiterer Grund für das Erstarken der Linken.Der 64-Jährige López Obrador, im ganzen Land kurz AMLO gerufen, hatte bereits 2006 und 2012 für das Präsidentenamt kandidiert, 2006 scheiterte er nur knapp. Der Politiker aus dem armen südlichen Bundesstaat Tabasco war im Jahr 2000 zum Bürgermeister von Mexiko-Stadt gewählt worden. 2005 gaben dann sowohl Moody’s als auch Standard & Poor’s der Bonität der Stadt Mexiko die besten Bewertungen, nachdem López Obrador mehrere Sozialprogramme ins Werk setzte, ohne neue Kredite aufzunehmen.Das verspricht er auch für die Präsidentschaft: Seine Administration wolle jene Milliarden einsetzen, die bislang versickerten. In den vergangenen Monaten nahm AMLOs Wirtschaftsteam offenbar auch Kontakt zur Wall Street auf, unter anderem zu Spitzenmanagern der Fonds BlackRock und Oppenheimer Funds. Der Ökonomieprofessor Carlós Urzúa, wohl Mexikos künftiger Finanzminister, versichert, dass López Obrador leichte Budgetüberschüsse von 0,5 bis 1 % in den nächsten Jahren anstrebt. Zum Ende der sechsjährigen Legislaturperiode solle Mexikos Wirtschaft um 5 % zulegen. Die Märkte bleiben freilich skeptisch. Seit Mitte April hat der Peso etwa 10 % zum Dollar verloren, was sich nur zum Teil mit den Zinserhöhungen der US-Notenbank erklären lässt. Die Investoren sorgen sich vor allem über López Obradors Ankündigung, die 13-Mrd.-Dollar-Pläne für einen Flughafen-Neubau per Referendum absegnen zu lassen. Zudem will AMLO die Verträge der Teilprivatisierung des staatlichen Energieriesen Pemex auf Korruption prüfen.Dass López Obrador die Wirtschaftselite seines Landes gerne als “Machtmafia” bezeichnet, beunruhigt viele ebenso wie seine Sprunghaftigkeit und Fundamentalkritik an Institutionen und Leitmedien des Landes. Sollte seine Linkskoalition nun auch noch die Kontrolle über beide Parlamentskammern erhalten, könnten dem Staatswesen ähnliche Erschütterungen drohen, wie sie derzeit der Nachbar im Norden erlebt. Wie ein Wahlsieg des Linkspopulisten indes beim wichtigsten Handelspartner USA aufgenommen würde, ist ebenfalls nicht klar. Manche Beobachter befürchten ein fatales Aufeinandertreffen zweier Egozentriker. Andere machen bei den beiden Populisten Parallelen aus und sehen diese als Chancen, etwa für die Verhandlungen über die nordamerikanische Freihandelszone, die nach dem 1. Dezember starten dürften. An diesem Tag beginnt die Amtszeit des neuen Präsidenten.