Mission impossible
Jetzt wird es ernst für Mario Draghi. Die Vertrauensabstimmungen am gestrigen Mittwoch im Senat und am heutigen Donnerstag im Abgeordnetenhaus sind angesichts seiner breiten Unterstützung in beiden Kammern des italienischen Parlaments Spaziergänge. Doch nun beginnt die Arbeit, und die hat es in sich. Erste Herausforderungen sind die Zunahme der Coronazahlen und der Virus-Mutationen sowie die Impfkampagne, die auf den Weg gebracht werden will. Auch die Hilfen für die Wirtschaft und die Stärkung des Gesundheitssystems gehören fast noch zum Alltagsgeschäft.
Das allein wäre schon herausfordernd genug. Doch parallel dazu muss der frühere EZB-Präsident bis Ende April einen Plan für die Verwendung der Mittel des europäischen Wiederaufbauprogramms vorlegen, der Italien zukunftsfähig macht. Dafür braucht es ein umfangreiches Investitionsprogramm und Reformen von Justiz, öffentlicher Verwaltung und Steuersystem: Themen, die seit Jahrzehnten liegen geblieben sind und nun innerhalb weniger Monate auf den Weg gebracht und umgesetzt werden sollen.
Draghi steht vor einer Herkulesaufgabe, für deren Lösung er maximal zwei Jahre, vielleicht weniger zur Verfügung hat. Er hat zwar eine so große Mehrheit in den beiden Kammern des Parlaments hinter sich, wie sie vor ihm allenfalls Mario Monti 2011 hatte. Der musste seinen Landsleuten damals ein strenges Sparprogramm verordnen und hatte für die Umsetzung nur ein Jahr Zeit. Draghi hat, das ist historisch einmalig, fast 210 Mrd. Euro aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm zur Verfügung. Doch diese Herausforderung ist noch viel größer, denn Draghi hat nur einen Schuss, und der muss sitzen: Die Zukunft seines Landes, vielleicht sogar Europas, hängt davon ab, dass die Mittel nicht verschwendet werden, sondern Italien fit für die Zukunft machen.
Die Aufgabe wäre selbst für einen Messias kaum zu schaffen – angesichts der gewaltigen Verschuldung, einer dramatischen demografischen Entwicklung im Land, einer seit Jahrzehnten stagnierenden Produktivität, einer gigantischen Steuerflucht, eines Nord-Süd-Gefälles, das größer als je zuvor ist – und vielfältiger interner Widerstände. Doch Draghi, der um all das weiß und an die nationale Einheit appelliert, ist andererseits der Einzige in Italien, der in der Lage ist, wenigstens vorübergehend einen parteiübergreifenden Konsens zu schaffen. Es ist fast eine „Mission Impossible“, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Konsens bröckelt. Doch einen Versuch ist es allemal wert. Als Europäer kann man Draghi nur eine glückliche Hand wünschen.