ANSICHTSSACHE

"Monsieur Hollande, Sie sind nicht Asterix!"

Börsen-Zeitung, 23.11.2013 Geben wir es zu: In unserer Jugend haben die meisten von uns Asterix-Comics gelesen und mit großem Vergnügen den Kampf der unbeugsamen und sympathischen Gallier gegen die römische Weltmacht verfolgt. Aber Asterix lebte in...

"Monsieur Hollande, Sie sind nicht Asterix!"

Geben wir es zu: In unserer Jugend haben die meisten von uns Asterix-Comics gelesen und mit großem Vergnügen den Kampf der unbeugsamen und sympathischen Gallier gegen die römische Weltmacht verfolgt. Aber Asterix lebte in einer völlig intakten und harmonischen Dorfgemeinschaft und verfügte zudem über eine überlegene Technologie, den legendären Zaubertrank: Da kann man sich schon einmal mit einer Weltmacht anlegen. Das heutige Frankreich ist jedoch von einem solchen Zustand weit entfernt. Die Weigerung, sich aktiv den Herausforderungen der Globalisierung zu stellen, entwickelt sich zunehmend zum wirtschaftlichen Standortrisiko. Nicht das letzte DownratingSeit seinem Amtsantritt hat der französische Präsident François Hollande eine ganze Reihe haarsträubender Fehler in der Wirtschaftspolitik begangen. Die politisch motivierte Hochsteuerpolitik hat sich als Desaster erwiesen und viele Unternehmen und zudem wohlhabende Franzosen wie Gérard Depardieu öffentlichkeitswirksam aus dem Land getrieben. Zusätzliche Staatseinnahmen sind selbstverständlich nicht entstanden. Wer ernsthaft glaubt, man könne ein Haushaltsdefizit mit einer “Reichensteuer” schließen, der muss schlechte wirtschaftliche Berater haben. Das französische Defizit wächst weiter und die kumulierte Verschuldung nimmt bedrohliche Ausmaße an. Zwar hat sich Hollande bei der EU zwei Jahre Aufschub zur Haushaltskonsolidierung erbeten, doch in Brüssel wundert man sich, warum er nichts unternimmt, um die nötigen Strukturreformen anzugehen. Die weitere Herabstufung der französischen Kreditwürdigkeit durch die Ratingagenturen ist ordnungspolitisch gerechtfertigt und dürfte nicht die letzte gewesen sein. Suche nach SündenböckenFrankreich ist nach wie vor ein Urlaubsparadies und wird im Tourismus vermutlich auch zukünftig seine Spitzenposition halten können: Das ist die gute Nachricht. Aber bei der Industrieproduktion und im Dienstleistungssektor fällt die Grande Nation immer weiter gegenüber den Wettbewerbern zurück. Der Anteil französischer Autos in Afrika und Asien schrumpft und auf dem amerikanischen Markt kommen französische Autos gar nicht vor. Aber auch in Europa und im eigenen Land ist der Marktanteil etwa von Peugeot Citroën PSA rückläufig.Frankreichs Wirtschaftspolitik ist immer noch stark etatistisch geprägt und auf Großunternehmen ausgerichtet. Das Leitbild der sogenannten Planification prägt nach wie vor das wirtschaftspolitische Denken. In Frankreich fehlen ein innovativer Mittelstand und Kleinunternehmen, die neue Produkte und Unternehmen an den Markt bringen könnten. Defizitfinanzierte und staatlich subventionierte Prestigeprojekte allein schaffen noch keine Arbeitsplätze. Die Arbeitslosigkeit steigt aber kontinuierlich an, gerade bei der Jugend. Sündenböcke für die schwierige wirtschaftliche Lage werden immer wieder nur außerhalb Frankreichs gesucht: die Globalisierung, die vermeintliche Exportstärke Deutschlands, der Siegeszug der englischen Sprache, die amerikanische Hegemonie im Bereich der sozialen Netzwerke – all das wird angeführt, um von den eigenen Schwächen und der mangelnden Bereitschaft zum strukturellen Wandel abzulenken.Auch politisch ziehen über Frankreich dunkle Wolken auf. Die politische Schwäche der sozialistischen Partei von Hollande nützt vor allem der rechtsradikalen Front Nationale mit der eloquenten Marine Le Pen an der Spitze. Diese Partei, die auch den Schulterschluss zu deutschen und holländischen Euro-Skeptikern sucht, ist an Realitätsverweigerung nicht mehr zu überbieten. Marine Le Pen verteidigt das Recht zum Haushaltsdefizit und verbietet sich jede Einflussnahme aus Brüssel in den nationalen Haushalt. Wer das französische Defizit finanzieren soll, ist auch klar: entweder die Europäische Zentralbank oder aber Euroland-Bonds, bei der man sich die Bonität der stabileren Nordländer leihen möchte. Zudem wird eine Rückkehr zum französischen Franc gefordert, um über die Möglichkeit zur Währungsabwertung Marktanteile zurückzugewinnen. Welch eine Paradoxie! Die Einführung des Euro und die Abschaffung der D-Mark waren die Bedingung des damaligen französischen Präsidenten François Mitterand, der deutschen Wiedervereinigung zuzustimmen und die Macht von “Francfort” einzugrenzen. Nur Linke kann reformierenAuch außenpolitisch schwindet der französische Einfluss – sehr zum Ärger der “class politique”, die immer noch mit Stolz auf den permanenten Sitz im Weltsicherheitsrat und das Vetorecht verweist. Doch dieser ist ein Relikt des Kalten Krieges. Die wirklich richtungweisenden internationalen Organisationen sind die G 8 und die G 20. Und da geht es letztlich nur um die wirtschaftliche Stärke. Dort aber schwindet der französische Einfluss immer schneller.Frankreich braucht eine Agenda 2010, um den Arbeitsmarkt zu modernisieren und dringende Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Eine solche Reform kann aber eigentlich nur von einer linken Regierung durchgesetzt werden, da es bei solchen Reformen durch eine konservative Regierung wohl sofort Massenproteste der starken und kampfbereiten Gewerkschaften geben würde. Die linke Regierung von Hollande hat jedoch die schlechtesten Umfragewerte, die jemals eine Regierung in der Fünften Republik hatte. Es ist unklar, ob die Regierung die Legislaturperiode überstehen wird. Marine Le Pen klopft schon an die Tür des Élysée-Palastes. Man kann dem Präsidenten nur zurufen: “Monsieur Hollande, Sie sind nicht Asterix! In Ihrer Dorfgemeinschaft rumort es, Ihre Technologie ist veraltet und Sie haben nur noch maximal zwei Jahre Zeit, das zu ändern!”———Prof. Dr. Dirk Wentzel lehrt Volkswirtschaft und Europäische Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule Pforzheim und ist Inhaber des Jean-Monnet-Lehrstuhls der Europäischen Kommission.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Dirk Wentzel Frankreich braucht eine “Agenda 2010” zur Modernisierung des Arbeitsmarktes. Das kann nur eine linke Regierung durchsetzen.——-