Nachtragshaushalt heftig umstritten
wf Berlin
Die Union im Bundestag sieht ihre Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Nachtragshaushalts 2021 durch eine öffentliche Anhörung im Bundestag bestätigt. „Die Anhörung zum Nachtragshaushalt hat klargemacht: Der Finanzminister will die Schuldenbremse gezielt umgehen“, erklärte der Vizevorsitzende der größten Oppositionsfraktion, Matthias Middelberg, in Berlin. Die Ampel-Koalition wolle in einem Schattenhaushalt Milliarden auf Vorrat ansammeln, um damit über Jahre hinweg den Klimaumbau zu finanzieren, monierte Middelberg. „Mit akuter Notfallbekämpfung, die das Aussetzen der Schuldenbremse rechtfertigen würde, hat das nichts mehr zu tun.“ Der haushaltspolitische Sprecher der Union, Christian Haase, sieht die Haltung der CDU/CSU durch die Mehrheit der Juristen unter den Sachverständigen in der Anhörung gestützt. Der geplante Nachtragshaushalt sei verfassungswidrig. „Die Schuldenbremse darf nicht beim ersten Angriff fallen“, mahnte Haase. Die Unionsfraktion hat bereits eine Verfassungsbeschwerde gegen den Nachtragshaushalt angekündigt.
Mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2021 will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Kreditermächtigungen von 60 Mrd. Euro dem Energie- und Klimafonds – einem Sondervermögen des Bundes – zuweisen und damit in spätere Jahre retten. Die Ausgaben, die vor allem in den Klimaschutz fließen, dürften erst von 2023 an getätigt werden, sollen aber durch eine neue Buchungsmethode rückwirkend dem Jahr 2021 zugerechnet werden. Im vergangenen Jahr war die Schuldenbremse wegen der Corona-Pandemie vom Bundestag erneut ausgesetzt worden. 2023 soll sie wieder gelten.
Mehr Kreditfinanzierung
Der Nachtragshaushalt muss vom Bundestag verabschiedet werden. Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens hörte dessen Haushaltsausschuss in Berlin Sachverständige öffentlich an. Die Haltung der geladenen Experten war gespalten. Die meisten Juristen, der Bundesrechnungshof und auch kommunale Vertreter stellten die Verfassungsmäßigkeit der Finanzoperation der Ampel-Regierung infrage. Die meisten Ökonomen befürworteten dagegen den zusätzlichen Kreditfinanzierungsspielraum in der pandemiegeschwächten Wirtschaft, der in Jahre vorgetragen wird, in denen die Schuldenbremse diesen nicht mehr zulassen würde.
Für den Staatsrechtler Christoph Gröpl (Universität des Saarlandes) widerspricht der Plan der Schuldenbremse: „Die Bekämpfung der Erderwärmung hat nichts mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu tun.“ Hans-Günter Henneke, Vorstandsmitglied des Deutschen Landkreistags, sprach von Buchungstricks, die ermöglichen sollen, die Schuldenbremse zu umgehen. Der Würzburger Staatsrechtler Kyrill-Alexander Schwarz bezeichnete das Vorgehen, für ökonomische Fragen verfassungsrechtliche Vorgaben zu unterlaufen, als „klaren Vorsatz“. Für den Juristen Alexander Thiele (Business & Law School Berlin) hat die Regierung überzeugend dargelegt, dass es nicht nur darum gehe, in den Klimaschutz zu investieren, sondern die Pandemie zu bekämpfen.
Ökonomen argumentierten im Bundestag mit der fragilen Lage der Wirtschaft. Für Jens Südekum (Universität Düsseldorf) besteht ein enger Zusammenhang zwischen den geplanten Investitionen und der Krise: Der Staat müsse handeln und Impulse für Investitionen setzen. Berthold U. Wigger (Karlsruher Institut für Technologie) hält die Rücklagenstrategie für geeignet. Coronakrise und Klimaschutz fielen zusammen. Lena Dräger (Universität Hannover) sieht in den klima- und transformationspolitischen Investitionen einen „transformativen Schub“, damit die Volkswirtschaft gestärkt aus der Krise hervorgehen kann.