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Neue oberste US-Richter haben Folgen für die Wirtschaft

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 3.7.2018 In seinen knapp mehr als 17 Monaten im Amt hat US-Präsident Donald Trump bewiesen, dass er bereit ist, internationale Abkommen aufzukündigen und per Dekret zu regieren, wenn er im Kongress...

Neue oberste US-Richter haben Folgen für die Wirtschaft

Von Peter De Thier, WashingtonIn seinen knapp mehr als 17 Monaten im Amt hat US-Präsident Donald Trump bewiesen, dass er bereit ist, internationale Abkommen aufzukündigen und per Dekret zu regieren, wenn er im Kongress seinen Willen nicht durchsetzen kann. Nun schickt sich der 45. Präsident an, auch die Justiz in seinem Sinne umzukrempeln. Während der kommenden Tage wird Trump zum zweiten Mal einen Richter zum neunköpfigen Supreme Court ernennen, dem obersten Gerichtshof.Er oder sie wird die Nachfolge des moderaten Republikaners Anthony Kennedy antreten, der sich während seiner 30 Jahre als hoher Richter mehrfach den Meinungen seiner demokratischen Kollegen anschloss. Die Folge wird ein Rechtsruck in dem bereits konservativ ausgerichteten Gericht sein. Das könnte nicht nur gravierende gesellschaftspolitische Folgen haben, sondern bald auch auf die Wirtschaft durchschlagen. Historisch gesehen werden die hohen Richter mit gesellschaftspolitisch relevanten Grundsatzentscheidungen in Verbindung gebracht. Im Jahr 1973 befand der oberste Gerichtshof, dass Frauen grundsätzlich das Recht haben, frei über einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Im darauffolgenden Jahr urteilte das Richtergremium dann gegen US-Präsident Richard Nixon. Er hatte sich mit dem Argument seiner Immunität geweigert, die legendären “Watergate Tapes” freizugeben. Die Richter sorgten mit ihrem Urteil für Nixons späteren Rücktritt. Andere Grundsatzurteile bejahten etwa, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung das Verbrennen der US-Flagge erlaubt und die Tatsache, dass die Anwendung der Todesstrafe gegen geistig Behinderte ein “grausames und ungewöhnliches” Strafmaß darstelle und daher verfassungswidrig sei.Während der vergangenen Jahre haben Urteile aber zunehmend ökonomische Relevanz erlangt, und das hat auch Trump erkannt, der das hohe Gericht nun bei der Umsetzung wirtschafts- und ordnungspolitischer Vorhaben einsetzen will. Vor acht Jahren entschied der Supreme Court etwa, dass Unternehmen, Gewerkschaften und anderen Organisationen keine Grenzen für ihre Wahlkampfspenden gesetzt werden dürfen. Langjährige Bemühungen im Kongress, den Einfluss multinationaler Konzerne und mächtiger Interessenvertretungen auf die Politik zu verringern, wurden auf einen Schlag zunichtegemacht. Ein weiteres Urteil schwächte vor kurzem maßgeblich den Einfluss der Gewerkschaften. Einschneidende Folgen für den Internetkommerz und das Steueraufkommen der Bundesstaaten könnte zudem die jüngste Entscheidung haben. Demnach darf die öffentliche Hand bei allen Onlinehändlern Verkaufssteuern erheben und nicht nur bei jenen, die eine physische Präsenz in dem betreffenden Staat haben. Trump denkt in größeren Dimensionen, und mit der Ernennung eines weiteren erzkonservativen Richters als Nachfolger für Kennedy könnte er die Weichen stellen für eine Serie wirtschaftlich bedeutsamer Grundsatzentscheidungen. Sie reichen von umfassender Deregulierung, unter anderem in der Bankenindustrie, die Trump ja vollständig von den Fesseln des Dodd-Frank-Gesetzes befreien will, bis hin zur Streichung von Verbraucherschutzvorschriften und im äußersten Fall sogar Einfuhrverboten für Produkte aus bestimmten Ländern. Während der gemäßigte Kennedy mit seinem Votum Republikaner mehrfach enttäuschte, sind jene sechs Kandidaten konservative Hardliner. Von ihnen erwartet sich der Präsident Entscheidungen, welche die heimische Wirtschaft gegenüber ausländischen Unternehmen begünstigen, die Rolle des Staats in der Privatwirtschaft minimieren und die sowohl die Industrie als auch private Haushalte steuerlich entlasten würden. Wer den Zuschlag bekommen soll, das will Trump in den nächsten zehn Tagen bekannt geben. Wird Trumps neuer Richter dann vom Senat gebilligt, könnte der Rechtsruck im Supreme Court schon relativ schnell konkrete Wirkung entfalten. Verhängt der Präsident beispielsweise Einfuhrzölle gegen ausländische Luxusautos, mit denen er am Wochenende erneut gedroht hatte, wären Klagen aus der Industrie unausweichlich. “Wir können über Stahl und alle anderen Branchen reden, doch Autos sind das wirklich Große”, sagte er in einem Interview und ging erneut mit den deutschen Autoherstellern hart ins Gericht. Im Raum stehen Strafzölle von bis zu 20 %, und Klagen seitens der Hersteller, deren Zulieferer und anderer Unternehmen, die von den unterbrochenen Lieferketten betroffen wären, würden dann bei ausreichenden Berufungen früher oder später an den Supreme Court gehen. In letzter Instanz wäre es dann Sache der neun Richter, zu entscheiden, ob die Zölle Bestand haben dürfen. Trump möchte sicher sein, dass der Kennedy-Nachfolger dann ganz in seinem Sinne urteilen würde. Ökonomisch relevante Grundsatzentscheidungen könnten unter einem konservativeren Gerichtshof aber auch Finanzderegulierung wie eine Ausdünnung des Verbraucherschutzes zur Folge haben. Das Gesetz zur Deregulierung des Bankensektors, welches Trump nach Verabschiedung durch den Kongress im Mai unterschrieb, geht ihm nicht weit genug. Er will das Dodd-Frank-Gesetz, das Fundament der neuen Finanzmarktarchitektur, komplett kippen. Eine weitere Klage aus der Bankenindustrie gegen die als unzumutbar kritisierte staatliche Aufsicht würde reichen. Landet auch diese nach Durchlaufen sämtlicher Instanzen beim obersten Gerichtshof, dann würde die konservative Mehrheit entscheiden, ob Dodd-Frank noch eine Zukunft hat. Trump kommt die Gelegenheit, einen weiteren Richter zu ernennen, entgegen, weil gerade im März das hohe Gericht entschied, dass die unter seinem Vorgänger Barack Obama gegründete Verbraucherschutzbehörde Consumer Financial Protection Bureau (CFPB) nicht aufgelöst werden soll. Trumps Anhänger waren vor Gericht gezogen, weil sie deren Struktur für verfassungswidrig hielten. Das letzte und höchste Wort ist noch nicht gesprochen.