Neue US-Sanktionen: Staatspleite Russlands rückt näher
Reuters New York
Die USA haben ihren wirtschaftlichen Druck auf Russland in Form von neuen Sanktionen erhöht. Wie das US-Finanzministerium am Dienstag mitteilte, habe man die russische Regierung daran gehindert, fällige Zinszahlungen von mehr als 600 Mill. Dollar auf Fremdwährungsanleihen aus den bei US-Banken gehaltenen Reserven auszuzahlen. Die Tötung Hunderter Zivilisten in der ukrainischen Ortschaft Butscha und der anhaltende Krieg hatte international den Ruf nach schärferen Sanktionen verstärkt.
„Russland muss sich entscheiden, ob es die verbleibenden wertvollen Dollarreserven aufbraucht oder neue Einnahmen erzielt oder ob es in Verzug gerät“, sagte ein Sprecher des US-Finanzministeriums in Washington. Wird den Verpflichtungen nicht nachgekommen, droht Russland der erste Zahlungsausfall seit der Russischen Revolution 1917, als die Bolschewiken Schulden aus der Zarenzeit nicht anerkannten. Mit der Blockade soll der Kreml zu einer Entscheidung gezwungen werden: die Dollar, auf die er im Inland zugreifen kann, entweder für Zahlungen an seine Gläubiger zu nutzen oder für andere Zwecke wie die Finanzierung des Krieges einzusetzen.
Die US-Großbank J.P. Morgan Chase hat bisher die russischen Zahlungen als Korrespondenzbank abgewickelt. Sie wurde nun vom Finanzministerium gestoppt, wie ein Insider der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Eigentlich hätte Russland 552,4 Mill. Dollar für eine fällige Anleihe an die Investoren zurückzahlen müssen, dazu weitere 84 Mill. Dollar an Zinsen für eine Staatsanleihe. Russland bleibe nun eine Frist von 30 Tagen, um die Anleger doch noch zu bedienen.
Russland verfügt zwar eigentlich über die nötigen Mittel, um seine Zahlungsverpflichtungen zu stemmen. Die westlichen Staaten haben aber wegen des Ukraine-Krieges etwa die Hälfte der russischen Gold- und Devisenreserven in Höhe von 640 Mrd. Dollar eingefroren. Insgesamt hat Russland 15 internationale Anleihen mit einem Nennwert von rund 40 Mrd. Dollar ausstehen.
Bislang konnte trotz der beispiellosen westlichen Sanktionen ein Zahlungsausfall vermieden werden. Aber die Aufgabe wird immer schwieriger. Washington versuche, „noch mehr Druck auszuüben, um die Devisenreserven im eigenen Land abzubauen“, sagte der auf Sanktionen spezialisierte Anwalt David Wolber von der Kanzlei Gibson Dunn in Hongkong. „Wenn sie das tun müssen, nimmt das Russland natürlich die Möglichkeit, diese Dollar für andere Aktivitäten zu verwenden – im Wesentlichen zur Finanzierung des Krieges.“ Zugleich könne damit auch Druck auf die russischen Forderungen ausgeübt werden, von den europäischen Kunden Rubel statt Dollar oder Euro für Gaslieferungen zu verlangen, fügte der Experte hinzu.
Während Russland aufgrund der Sanktionen derzeit keinen Zugang zu den internationalen Anleihemärkten hat, würde ein Zahlungsausfall dem Land den Zugang zu diesen Märkten noch lange verwehren – nämlich bis die Gläubiger vollständig befriedigt und alle aus dem Ausfall resultierenden Rechtsstreitigkeiten beigelegt sind.