OECD wegen Lohnstagnation besorgt
Die Industrieländerorganisation OECD äußert sich besorgt über die Stagnation des Lohnniveaus. Sollte keine Abhilfe geschaffen werden, könnte dies das Vertrauen der Verbraucher untergraben und die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt ansteigen lassen, warnt sie in ihrem jüngsten Beschäftigungsausblick. wü Paris – Die Situation auf dem Arbeitsmarkt in den Industrienationen hat sich deutlich entspannt – dennoch gibt es nach Ansicht der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) für die Regierungen keinen Grund, sich zurückzulehnen. Die Beschäftigungsquote habe zwar wieder das Niveau aus der Zeit vor der Finanzkrise erreicht und in fast allen 34 Mitgliedsländern entstünden mittlerweile wieder mehr Arbeitsplätze, erklärte die Organisation gestern bei Vorlage ihres jüngsten Beschäftigungsausblicks. Doch das Lohnwachstum falle weit schlechter aus. “Das Lohnwachstum war nur halb so stark, wie es vor der großen Rezession bei vergleichbaren Arbeitslosenquoten war”, heißt es in dem Bericht. So betrug der Nominallohnanstieg im zweiten Quartal 2007 5,8 %, im Schlussquartal 2017 dagegen nur 3,2%. Regierungen gefragt”Es gibt überall eine Erholung auf dem Arbeitsmarkt”, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría. Die Arbeitslosenquote in den OECD-Ländern dürfte bis Ende dieses Jahres auf 5,3 % zurückgehen, im nächsten Jahr dann auf 5,1 %. Das Problem sei jedoch, dass die Löhne nicht folgen würden, sagte Gurría. Normalerweise können Arbeitnehmer bei einem Rückgang der Arbeitslosigkeit besser höhere Gehälter durchsetzen. Aktuell sei das aber nicht der Fall. Das ist nach Ansicht der OECD-Experten um so besorgniserregender, als vor allem Niedrigverdiener und die Mittelschicht von dem Phänomen betroffen seien, während Spitzenverdiener nach wie vor starke Gehaltszuwächse verbuchten. Wenn es den Industrieländern nicht gelänge, diese Tendenz zu stoppen, könnte das Vertrauen in den wirtschaftlichen Aufschwung untergraben werden, warnen sie. Gleichzeitig könnten sich die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt dann noch weiter verstärken. Die OECD hatte bereits im vergangenen Jahr gewarnt, dass dies bei einigen Teilen der Bevölkerung das Gefühl schüren kann, Verlierer der Globalisierung und der Digitalisierung zu sein. Die Organisation betonte nun, dass die Industrieländer wegen der zu beobachtenden Tendenz Arbeiter unterstützen müssten, allen voran die am wenigsten Qualifizierten. Die OECD-Experten sehen mehrere Gründe für die Stagnation der Gehälter: Dazu gehören neben dem niedrigen Inflationsniveau vor allem die Verlangsamung der Produktivität und die Zunahme von Arbeitsplätzen mit niedrigen Einkommen. In Deutschland hätten der dynamische Niedriglohnsektor sowie niedrigere relative Einkommen für Teilzeitkräfte mit dazu beigetragen, urteilen sie. Dagegen sei die Einführung eines Mindestlohns in der Bundesrepublik Beschäftigten mit niedrigen Löhnen zugutegekommen.Einen weiteren Grund für den enttäuschenden Lohnanstieg sieht die OECD in dem Siegeszug der Technologiefirmen. Ein Großteil der Produktivitätszuwächse jetzt sei einer kleinen Zahl von innovativen Firmen zu verdanken, heißt es in dem Beschäftigungsausblick. Diese investierten massiv in Technologie, aber beschäftigten nur vergleichsweise wenige Mitarbeiter. Daher gehe ein größerer Teil des Einkommens an Investoren und nicht an Arbeitnehmer.In Deutschland hat die Beschäftigungsquote mit 66,6 % aller 15- bis 74-Jährigen ihren höchsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht, so die OECD. Sie ist zudem 5 Prozentpunkte höher als der OECD-Durchschnitt. Die Beschäftigungsquote in den ostdeutschen Bundesländern liegt jedoch noch immer 2 Prozentpunkte unter derjenigen der westdeutschen Bundesländer – auch wenn sich die Kluft zwischen 2008 und 20017 halbiert hat. Auch wenn Deutschland insgesamt gut dasteht, bleibt der Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern höher als der OECD-Durchschnitt. Die Organisation erklärt das vor allem mit dem hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigung bei Frauen. Sie empfiehlt deshalb den Ausbau der ganztägigen Kinderbetreuung und Grundschulbildung sowie Steuersenkungen für Zweitverdiener.