Opposition wirft Regierung Verfassungsbruch vor
wf Berlin
Scharfe Kritik hat die Opposition am Nachtragshaushalt 2021 der neuen Bundesregierung von 60 Mrd. Euro geübt. Mathias Middelberg, Fraktionsvize von CDU/CSU, warf der Ampel vor, sich mit dem Nachtragshaushalt „die Taschen voller Geld zu laden“. Die Pandemie sei für diesen Schritt nur eine „Ausrede“, konstatierte Middelberg. Statt Krisenbekämpfung wolle die Ampel damit Klimawendepolitik und womöglich weitere Projekte finanzieren. „Das hat mit solider und verfassungsmäßiger Haushaltspolitik nichts zu tun“, stellte er fest. Sprecher der Linken und der AfD lehnten den Nachtragshaushalt ebenfalls ab. Die AfD hält ihn wie die Union für verfassungswidrig. Die Linke will die Schuldenregel durch eine „goldene Regel“ ersetzen, die Kredite in Höhe der Investitionen erlaubt. Zudem fordert sie eine Vermögensabgabe.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ergriff in der Abschlussdebatte nicht mehr das Wort, verfolgte sie aber auf der Regierungsbank. Für die FDP verteidigte deren Fraktionsvize Christoph Meyer den Schritt. Die zwei Jahre der Coronakrise seien besonders durch Unsicherheit geprägt gewesen. „Viele Investitionen sind nicht erfolgt, vieles ist liegen geblieben“, sagte Meyer. „Wir haben nach wie vor eine haushaltspolitische Ausnahmesituation.“ Dreh- und Angelpunkt des Nachtragshaushalts sei die Bekämpfung der Folgen der Pandemie. Die Mittel seien bestimmt für Investitionen in CO2-neutrale Mobilität, in Energieinfrastruktur oder Impulse in bestimmte energieintensive Industrien. Fast überall in Europa umfassten die wirtschaftspolitischen Strategien nach der Coronakrise Entlastungen – besonder bei den Strompreisen, sagte Meyer. Die Ampel werde die Abschaffung der EEG-Umlage auf den Weg bringen – er hoffe noch 2022, spätestens aber zum 1.1.2023. „Wir setzen mit dem Haushalt ein Signal zur Überwindung der pandemischen Notlage und schaffen Planungssicherheit für privatwirtschaftliche Investitionen“, sagte Meyer.
Kreditermächtigung gesichert
Mit dem Nachtragsetat rückwirkend für das vergangene Jahr sichert sich die Ampel-Koalition Kreditermächtigungen von 60 Mrd. Euro. Sie sind dem Energie- und Klimafonds – einem Sondervermögen des Bundes – zugewiesen worden. Zudem wurde die Buchungssystematik für die Sondervermögen so geändert, dass die Kredite dem Jahr zugerechnet werden, in dem sie gebilligt wurden. Nach der bisherigen Regelung wären sie in dem (späteren) Jahr verbucht worden, wenn die Mittel über den Kapitalmarkt aufgenommen werden. Dann gilt aber wieder die Schuldenbremse. 2021 hatte der Bundestag die Schuldenbremse wegen der Coronakrise ausgesetzt. Lindner strebt dies für 2022 erneut an. 2023 soll sie wieder gelten, verspricht er. Dann ist die Möglichkeit für neue Verschuldung begrenzt. Der Haushalt 2023 wird voraussichtlich im Sommer durchs Kabinett gehen. Der Etat 2022 ist wegen des Wahljahres noch nicht verabschiedet. Dies dürfte im Bundestag bis Ende Mai geschehen.
Laut vorläufigem Haushaltsabschluss 2021 hat der Bund im zweiten Jahr der Coronakrise bei Ausgaben von 557,1 Mrd. Euro netto 215,4 Mrd. Euro Kredit aufgenommen. Darin ist der Nachtragshaushalt enthalten. Gebilligt hatte der Bundestag sogar 240 Mrd. Euro an neuen Schulden, die aber nicht voll benötigt wurden. Im ersten Jahr der Coronakrise erreichte die Nettokreditaufnahme 130,5 Mrd. Euro. Selbst ohne Nachtragshaushalt hätte die Neuverschuldung 2021 mit rund 155 Mrd. Euro noch über der des Vorjahres gelegen.
Die Sachverständigen hatten in der Anhörung des Bundestags ein gespaltenes Bild geliefert. Während die Ökonomen die zusätzliche finanzielle Verfügungsmasse guthießen, stuften die Juristen und der Bundesrechnungshof das Vorhaben als verfassungswidrig ein. In der parlamentarischen Beratung hatten die Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP konkretisierende Anträge eingebracht. Darin wird klargestellt, dass die Kredite nur Pandemiefolgen finanzieren dürfen.