Otmar Issing redet Klartext über Politiker und Notenbanker
Buchrezension
Otmar Issing redet Klartext über Politiker und Notenbanker
In seinen Erinnerungen nimmt der erste Chefökonom der EZB kein Blatt vor den Mund
wrü Frankfurt
Mit Erinnerungen und Autobiografien ist es immer so eine Sache. Oft wird da herumgeschwurbelt, geschönt, nicht gesagt, was Sache ist oder war. Nicht so bei Otmar Issing. Der frühere Chefökonom der Bundesbank und der erste Chefökonom der Europäischen Zentralbank (EZB) nimmt in seinen Erinnerungen kein Blatt vor den Mund und redet Klartext. Das Buch ist leicht zu lesen, eine klare Sprache hat der Ökonom ja schon immer gepflegt. Vor allem redet Issing offen über die handelnden Politiker und Notenbanker, mit denen er es bei der Bundesbank und der EZB zu tun hatte. Issings Urteil fällt nicht für jeden vorteilhaft aus, aber gerade das macht die Erinnerungen des Ökonomen in höchstem Maße lesenswert. Kurzum: ein Buch, das so richtig rockt.
Genauso interessant wie seine Zeit als Notenbanker ist Issings Lebensgeschichte. Denn der 1936 in Würzburg geborene Wissenschaftler kommt aus einfachen Verhältnissen. Als Schüler und Student musste er in der elterlichen Gastwirtschaft mithelfen, wie es in Familienbetrieben üblich ist. Das Geld war knapp, die Verhältnisse schwierig. Oft musste er nach seinen Schilderungen am Schlachttag mit einem schwerbeladenen Fahrrad Würste und eine Kesselsuppe vom Vorort Zell nach Würzburg bringen. Dabei ist er auch einmal im Winter mit dem Rad in die Straßenbahnschienen geraten und gestürzt. Würzburger kennen das. Mit Unterstützung der Familie, Intelligenz und viel Fleiß gelang Issing der Aufstieg zum renommierten Universitätsprofessor für Geldpolitik.
„Völlig überraschend“
Die Karriere als Notenbanker im Alter von 54 Jahren kam für Issing, wie er sagt, „völlig überraschend“. Der damalige Bundesbank-Chefvolkswirt Helmut Schlesinger und der damalige Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl kannten Issing als Wissenschaftler, der für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik steht. Und Schlesinger wollte seine Volkswirtschaft unbedingt in den richtigen Händen wissen. Dieses Kalkül ging vollumfänglich auf. In bewegten Zeiten stand auch bei Issing die Verteidigung des Werts der D-Mark immer an erster Stelle.
Ebenso überraschend war, dass die Bundesbank dann unter Präsident Hans Tietmeyer ihren Chefvolkswirten als Chefökonomen für die neue EZB vorschlug, und dass die Politik den durchaus Euro-kritischen Issing auch akzeptierte. Und obwohl die Herausforderung in der Tat groß war, hat es funktioniert. Vor allem unter seiner ökonomischen Führung ist der Euro eine stabile Währung und eine Erfolgsgeschichte geworden. Natürlich war der Aufbau einer Notenbank und der neuen Europa-Währung mit immens viel Arbeit und großem Engagement verbunden. Das wird in Issings Erinnerungen ebenfalls sehr deutlich.
Lafontaine ohne Substanz
Doch nun zu den Anekdoten und Innenbetrachtungen, die dieses Buch so lesenswert machen: Zu einem Gespräch mit der SPD-Spitze im Februar 1994 merkt Issing an: „Während wir mit dem Vorsitzenden, Herrn Scharping, ein konstruktives Gespräch führten, fiel Herr Lafontaine durch aggressiv vorgetragene Kritik an der Geldpolitik der Bundesbank auf, die seinen Kollegen offensichtlich peinlich war. Die Attacken auf die Bundesbank waren besserwisserisch und inhaltlich ohne Substanz.“
Beim ersten Gespräch sagte der damalige Bundesbank-Präsident Pöhl zu Issing: „Wissen Sie, eigentlich mag ich keine Professoren.“ Issing: „Ich glaube, ich weiß auch warum.“ Pöhl: „Wie denn?“ Issing: „Weil die immer alles besser wissen.“ Pöhl: „Genau deswegen“. Issing: „Und Sie glauben, es immer besser zu wissen?“ Pöhl habe diese Bemerkung Issing aber keineswegs übel genommen und das persönliche Verhältnis sei sehr gut gewesen.
„Duisenberg war nicht an Details interessiert. Er hatte aber stets den Blick fürs Ganze“, schreibt Issing über den ersten EZB-Präsidenten. Gleichwohl sei Wim Duisenberg mit seiner offenen, toleranten und unprätentiösen Art sowie seiner Überzeugung über die Bedeutung der Geldwertstabilität die ideale Besetzung und ein Glücksfall für die EZB gewesen.
Auch über andere Protagonisten urteilt Issing klar und deutlich. Daher der Ratschlag an alle Ökonomen: Unbedingt lesen. Es lohnt sich.
Otmar Issing, Von der D-Mark zum Euro. Die Erinnerungen des Chefökonomen, Verlag Franz Vahlen, München. 2024, 238 Seiten Hardcover, 24,90 Euro (D), ISBN 978-3-8006-7483-1.
Otmar Issing, Von der D-Mark zum Euro. Die Erinnerungen des Chefökonomen, Verlag Franz Vahlen, München. 2024, 238 Seiten Hardcover, 24,90 Euro (D), ISBN 978-3-8006-7483-1.Otmar Issing, Von der D-Mark zum Euro. Die Erinnerungen des Chefökonomen, Verlag Franz Vahlen, München. 2024, 238 Seiten Hardcover, 24,90 Euro (D), ISBN 978-3-8006-7483-1.