IM BLICKFELD

Pedro Sánchez - zwischen Regieren und Neuwahl

Von Thilo Schäfer, Madrid Börsen-Zeitung, 6.9.2019 Vielen Spaniern wird die Rückkehr in den Alltag nach dem Sommerurlaub dieses Jahr noch schwerer gefallen sein als sonst, sofern sie sich für die politische Lage im Land interessieren. Denn da hat...

Pedro Sánchez - zwischen Regieren und Neuwahl

Von Thilo Schäfer, Madrid Vielen Spaniern wird die Rückkehr in den Alltag nach dem Sommerurlaub dieses Jahr noch schwerer gefallen sein als sonst, sofern sie sich für die politische Lage im Land interessieren. Denn da hat sich großartig nichts getan, seit Pedro Sánchez Ende Juli bei der Wiederwahl zum Ministerpräsidenten im Parlament durchfiel. Lediglich die Zeit wird jetzt sehr knapp. Denn sollte der Sozialist bis zum 23. September nicht doch noch die nötigen Stimmen für eine Minderheitsregierung zusammenbekommen, käme es am 10. November automatisch zu einer neuen Parlamentswahl, der vierten in vier Jahren.Die Ausgangslage ist unverändert. Die konservative PP und die nationalliberale Ciudadanos weigern sich nach wie vor, Sánchez durch ihre Enthaltung an der Macht zu lassen. Also unternimmt der Sozialist nun einen zweiten Anlauf für ein Bündnis mit der Linkskoalition Unidas Podemos, das im Juli nicht zustande kam.Am Donnerstag trafen sich Vertreter beider Parteien erstmals wieder zu Gesprächen. Doch anders als im Juli will Sánchez von einer Koalitionsregierung nun nichts mehr wissen. Damals war seine PSOE bereit, den Linken drei Ministerien und den Posten einer stellvertretenden Ministerpräsidentin abzutreten. Heute bieten die Sozialisten lediglich Posten in der zweiten Reihe der Staatsverwaltung, etwa bei der Börsenaufsicht CNMV, an. Das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden linken Parteien ist nach den ruppigen und zum guten Teil über soziale Medien ausgetragenen Verhandlungen vom Juli nicht so schnell zu kitten. “Wir haben tief greifende Differenzen mit Unidas Podemos”, sagte Sánchez am Dienstag. “Deswegen können wir derzeit keine Regierungspartner sein, aber das heißt nicht, dass wir Gegner sein müssen”. Das klingt nicht gerade wie jemand, der eine zerbrochene Ehe retten möchte.Die Grundlage für eine stabile sozialistische Minderheitsregierung soll ein Programm sein, das Sánchez am Dienstag vor großem Publikum in Madrid präsentierte. Die 370 Maßnahmen waren zum allergrößten Teil längst bekannt. Die PSOE von Sánchez sieht eine Anhebung der Sozialausgaben vor, insbesondere bei Gesundheitsversorgung und Bildung. Es gibt mehr Geld für die Renten, der gesetzliche Mindestlohn soll nach der üppigen Anhebung von 22 % in diesem Jahr weiter steigen und es stehen Maßnahmen gegen den Mietwucher im Programm. Hohe Einkommen und Großunternehmen werden zur Kasse gebeten. Die PSOE will, dass große Unternehmen zumindest 15 % ihres Reingewinns versteuern und Banken sogar 18 %. Denn viele Konzerne drücken ihre Steuerlast durch legale Tricks auf ein Minimum. Kleinbetriebe sollen dagegen steuerlich entlastet werden. Mehr Steuern für KonzerneBei Spaniens Arbeitgeberverbänden lösten die 370 Maßnahmen erneut einen Sturm der Kritik aus. Podemos-Chef Pablo Iglesias fand immerhin, dass einiges davon “gut klingt”. Doch er wischte die Ankündigungen der Sozialisten als reine Wahlversprechen vom Tisch. Die Verhandlungen werden zeigen, ob der Vertrauensverlust durch eine von den Sozialisten vorgeschlagene Kommission, welche die Erfüllung eines gemeinsam vereinbarten Programms überwachen soll, zu überbrücken ist.Im Gegensatz zu Unidas Podemos schließen die Sozialisten ein Referendum über die Unabhängigkeit in Katalonien kategorisch aus. Stattdessen soll der Konflikt mit den Separatisten über einen “Dialog” gelöst werden. Der harte Flügel um den früheren katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont in seinem selbst erwählten Exil in Waterloo will Sánchez auf keinen Fall unterstützen. Die etwas pragmatischeren katalanischen Republikaner der ERC wären dagegen dazu bereit, die Wiederwahl des Sozialisten im Parlament zu ermöglichen. Ebenso die sehr pragmatischen baskischen Nationalisten der PNV sowie Abgeordnete kleiner Regionalparteien. Doch ohne das Jawort von Unidas Podemos wird es keine Sánchez-Regierung geben.Noch scheint Spanien sich den politischen Stillstand leisten zu können, da die Wirtschaft Wachstumsraten von über 2 % verzeichnet. Doch die konjunkturelle Abkühlung ist bereits am Horizont. Der Arbeitsmarkt registrierte im August die schlechtesten Zahlen seit der Krise. Der Tourismus, zuletzt der Motor der Konjunktur, ist rückläufig und Spaniens starke Autoindustrie leidet unter dem Einbruch der internationalen Nachfrage.Viele haben in Sánchez` Auftritt vom Dienstag und seinen 370 Maßnahmen einen Auftakt des Wahlkampfes gesehen. Es besteht der Verdacht, dass der Sozialist es mit den Verhandlungen gar nicht so ernst meint und lieber am 10. November erneut den Wähler befragen möchte. Schließlich liegt die PSOE in allen Umfragen klar vorne, allerdings immer noch weit von einer ausreichenden Mehrheit entfernt. Eines Tages werden sich Spaniens Parteien also doch einmal einigen müssen.