Personalpoker könnte länger dauern
Bei der Suche nach einem neuen Präsidenten der EU-Kommission zeichnet sich weder im Europaparlament noch im Europäischen Rat eine schnelle Lösung ab. Die Fraktionschefs des Parlaments konnten sich lediglich generell noch einmal auf den Spitzenkandidaten-Prozess verständigen – der auch in Berlin unterstützt wird.ahe Brüssel – Im Europaparlament zeichnet sich nach ersten Beratungen der Fraktionsvorsitzenden noch kein gemeinsamer Kandidat für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten ab. Wie Parlamentspräsident Antonio Tajani nach dem Treffen mitteilte, gab es lediglich eine mehrheitliche Verständigung darauf, dass der Nachfolger von Jean-Claude Juncker aus dem Kreise der Spitzenkandidaten kommen müsse. Eine entsprechende Deklaration wollten allerdings die Liberalen nicht mittragen, obwohl sie mit der aktuellen EU-Wettbewerbskommissarin Margrete Vestager eine aussichtsreiche Kandidatin am Start haben.Eine Mehrheit im künftigen EU-Parlament ist nach den Ergebnissen der Europawahl vom Wochenende nur zu erreichen, wenn die Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialdemokraten sowie die Liberalen oder die Grünen einen Koalition bilden. Ein solches Bündnis ist zurzeit aber nicht in Sicht. Im Gegenteil: Da gestern sowohl Christ- als auch Sozialdemokraten ihren Führungsanspruch erneuerten und wenig Kompromissbereitschaft zeigten, läuft derzeit alles auf eine Blockade im EU-Parlament hinaus.Vertreter der beiden größten Fraktionen betonten daher, die Personalfragen müssten erst einmal hintangestellt und es müsse erst einmal über die Schwerpunktsetzungen der nächsten Jahre gesprochen werden. Dass die Fraktionschefs mehrheitlich den Spitzenkandidaten-Prozess unterstützen, ist für Manfred Weber, den EVP-Kandidaten, schon ein wichtiger Schritt: Es gehe nicht um seine Person, sondern um die Oberhoheit der Volksvertreter, sagte er. “Heute ist der Tag der Grundsatzentscheidung, dass das Parlament der Ort der Entscheidung ist.” Erst Prioritäten klären Und der Chef der europäischen Sozialdemokraten, Udo Bullmann, ergänzte: Dies sei “ein klares Signal an den Europäischen Rat: Versucht es erst gar nicht.” Dies zielte auf die Skepsis, mit der zahlreiche Staats- und Regierungschefs immer noch dem Spitzenkandidaten-Prozess gegenüberstehen, und einen möglichen Versuch, einen eigenen Kandidaten als Juncker-Nachfolger zu installieren.Am gestrigen Abend kamen die Staats- und Regierungschefs zu einem gemeinsamen Abendessen in Brüssel zusammen, um sich über das weitere Vorgehen informell auszutauschen. Auch sie wollen sich aber offensichtlich Zeit mit der Nominierung lassen. “Ich will nicht, dass man heute über Namen spricht”, betonte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Eintreffen in Brüssel. Erst solle die EU klären, welche Ziele und Prioritäten sie in den nächsten fünf Jahren habe. Erst danach solle man besprechen, welche Person zu diesen Zielen passe.Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem “ersten Austausch”. Es solle möglichst ein Kandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten bis zur Konstituierung des neuen Europaparlaments Anfang Juli gefunden werden. Bis zum nächsten regulären EU-Gipfel Ende Juni bleibe noch “viel Zeit”. Auch Merkel sprach sich ebenfalls noch einmal für den Spitzenkandidaten-Prozess aus – der ja Kandidaten wie Brexit-Verhandler Michel Barnier ausschließt – und sagte dem CSU-Politiker Manfred Weber ihre Unterstützung zu.Vestagers Chancen waren gestern ein wenig gestiegen, weil sowohl die Sozialdemokraten als auch die Grünen im Gegensatz zu Weber ihre Rolle als Spitzenkandidatin anerkannt haben. Die Dänin war eigentlich nur Mitglied in einem Spitzenteam der Liberalen gewesen. Beistand erhielt sie auch von den EU-Kommissarinnen Cecilia Malmström und Vera Jourova sowie von den Regierungschefs aus Luxemburg,Finnland und Dänemark, Xavier Bettel, Juha Sipilä und Lars Løkke Rasmussen .Der EU-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Nicolai von Ondarza, erklärte unterdessen in einem Interview, er erwarte “ein komplexes Machtspiel zwischen den Parteien im Parlament, wer sich tatsächlich die Mehrheit besorgen kann”. Vestager habe dabei Chancen.