Pleitewelle kommt noch nicht ins Rollen

Hoffnung ruht auf Hilfsmaßnahmen der Regierung - Einzelhandel am stärksten bedroht

Pleitewelle kommt noch nicht ins Rollen

Von Alexandra Baude, FrankfurtDie Corona-Pandemie trifft die deutsche Wirtschaft erheblich härter als die globale Finanzkrise der Jahre 2008/2009. Nicht nur, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wegen der kräftigen Rückgänge bei Privatkonsum, Ausrüstungsinvestitionen sowie Im- und Exporten erheblich Federn lassen wird – auch mit Blick auf die Arbeitslosigkeit und Insolvenzen prognostizieren Ökonomen deutlich höhere Zahlen als in der letzten Rezession.Derzeit ruhen aber noch große Hoffnungen auf den umfangreichen Hilfen für Unternehmen, mit denen die Jobverluste in Grenzen gehalten und eine Pleitewelle vermieden werden soll. Allerdings müssen die Unternehmen die coronabedingt erhöhte Verschuldung auch wieder abtragen – und während dieser Zeit werden sie bei Einstellungen und Investitionen größte Vorsicht walten lassen, wenn sie es denn überhaupt schaffen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen haben es finanziell schwer, die Durststrecke zu überwinden, bis die Lieferketten wieder stehen und die Nachfrage anzieht.Jüngste Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) machen indes Hoffnung, dass die befürchtete Pleitewelle ausbleiben könnte. So ist die Zahl der eröffneten Regelinsolvenzverfahren zwar im März noch um 1,6 % im Jahresvergleich gestiegen, im April aber um 13,4 % gefallen. Dass es entgegen den Erwartungen nicht zu einem Anstieg gekommen ist, ist für die Wiesbadener Statistiker aus unterschiedlichen Gründen nicht überraschend: Zum einem vergehe zwischen dem Antrag und der Eröffnung eines Regelinsolvenzverfahrens Bearbeitungszeit, die sich durch den teils eingeschränkten Betrieb der zuständigen Insolvenzgerichte verlängert habe. Denn erst nach der Entscheidung über Eröffnung oder Abweisung des Verfahrens gehen diese in die Statistik ein. Antrag muss nicht mehr sein Zum anderen, so Destatis, werden die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung für Unternehmen während der Corona-Pandemie voraussichtlich eine schnelle Zunahme der Insolvenzanträge verhindern. So sind etwa Unternehmen vorübergehend von der Insolvenzantragpflicht befreit, wenn die Insolvenzreife auf Corona-Auswirkungen beruht und die Aussicht besteht, dass sie die bestehende Zahlungsunfähigkeit beseitigen können. Diese Regelung gilt vorerst bis zum 30. September. Damit würden nicht alle Insolvenzen, die rechnerisch 2020 stattfinden müssten, auch in diesem Jahr erfolgen, erklärt der Kreditversicherer Coface dazu. Zudem werde nicht aus jeder angekündigten auch eine tatsächliche Insolvenz. Einem Coface-Papier zufolge könnten Verbände versucht sein, durch eine überhöhte Warnung vor einer Pleitewelle der jeweiligen Branche der Politik zusätzliche staatliche Hilfe zu entlocken. Coface erwartet, dass die Insolvenzen in diesem Jahr um 11 % auf einen Stand von 20 800 zulegen. Dies wäre eine ähnliche Größenordnung wie die 21 518 Insolvenzen im konjunkturell gut gelaufenen Jahr 2016 – allerdings gebe es derzeit weniger Unternehmen als 2016 und somit weniger potenzielle Pleitekandidaten, und auch über die Schadenshöhe sei damit nichts ausgesagt. Allerdings sollten die absoluten Zahlen nicht über die Dramatik hinwegtäuschen, wenn eine Reihe größerer Unternehmen insolvent ginge, was nicht nur Branchen nachhaltig verändere, sondern auch mit Zeitverzug weitere Unternehmen zu Fall bringen könnte.Am kritischsten ist laut der April-Umfrage des Ifo-Instituts die Lage im Einzelhandel. Sollten die pandemiebedingten Einschränkungen noch für längere Zeit bestehen bleiben, überstünden 63,2 % der Einzelhändler dies höchstens ein halbes Jahr. Bei den Dienstleistern ginge nach eigenem Bekunden 56 % die Puste aus. In der Industrie, die eben wieder Tritt zu fassen schien nach den Belastungen aus den Handelskonflikten, den Brexit-Wirren und dem Strukturwandel der Automobilbranche, müssten 48 % der Betriebe spätestens nach einem halben Jahr ihr Geschäft aufgeben. Am komfortabelsten ist die Lage in der Baubranche – hier verschwinden laut Ifo-Umfrage 45,4 % der Firmen spätestens nach einem halben Jahr. Industrie hat es weiter schwerInsbesondere die Industrie steht erneut vor großen Herausforderungen. So haben die Unternehmen derzeit wegen der enormen Unsicherheit mit einer erheblichen globalen Investitionszurückhaltung zu kämpfen. Die internationalen Lieferketten müssen kritisch überprüft, neue Absatzmärkte erschlossen werden.Darüber hinaus dürften auch die Schutzmaßnahmen, die nun in den Fabrikhallen gelten, wie etwa Abstands- und Hygieneregeln, die Produktivität dämpfen. Vergleichsweise hohe Lohn- und Stromkosten sowie überdurchschnittliche Steuersätze knapsen zudem an den Unternehmensgewinnen – und schmälern die Attraktivität Deutschlands als Industriestandort.