Politik für die Verlierer des Marktes
Von Stephan Lorz, Frankfurt”Inclusive Growth” ist derzeit auf Konferenzen das Mega-Thema. Denn viele Menschen fühlen sich durch Globalisierung, (Finanz-)Kapitalismus und Digitalisierung abgehängt, quasi um ihren Anteil am Wohlstandsgewinn gebracht. Statt dass die Marktwirtschaft “Wohlstand für alle” produziert, wie in den 50er Jahren versprochen, scheint der ökonomische Algorithmus “the winner takes it all” zu favorisieren.An den realwirtschaftlichen Indikatoren lässt sich zwar nicht ablesen, dass die Ungleichheit hierzulande weiter zunimmt, das Gefühl aber ist politisch real – und damit auch ökonomisch relevant. Brexit, Trump-Wahl, die Stimmengewinne der Rechten ängstigen die Repräsentanten der etablierten Ökonomie und Politik. Die Akzeptanz des freiheitlichen Wirtschaftssystems steht auf dem Spiel. Systemische Korrekturen werden daher debattiert.Geradezu reflexhaft wird nach mehr Umverteilung gerufen: mehr Steuern und Abgaben für die “Bedürftigen”! Die SPD nimmt sich ihrer an und kämpft in den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen für die Bürgerversicherung, noch bessere Rentenleistungen und eine Aufstockung von Hartz IV.Doch es liegt in der Regel nicht an der fehlenden pekuniären Zuwendung, die in Personengruppen, Schichten oder Regionen das Gefühl aufkommen lässt, zu den Verlierern zu gehören. Darauf verweist Tharman Shanmugaratnam, der stellvertretende Premierminister von Singapur, bei der Bundesbank-Lecture an der Universität Frankfurt. Vielmehr wirbt er für eine gezielte Ordnungspolitik und für Korrekturen am Marktmechanismus. Dem Marktfundamentalismus dürfe man das Spielfeld nicht allein überlassen, sagt er. Dieser sei zwar erfolgreich unter Effizienzgesichtspunkten, beschädige aber durch die “Produktion von Verlierern” und durch seine “soziale Auslese” Demokratie und Gesellschaft.Wenn Menschen nicht mehr daran glaubten, dass es ihren Kindern einst besser gehen werde, müsse die Politik reagieren. Statt aber einfach Geld zu verteilen und damit letztlich die etablierten Sozialstruktur zu konservieren, müsse die Politik den Wandel finanzieren. Menschen und die Infrastruktur müssten für die neuen Herausforderungen ertüchtigt bzw. regeneriert werden.Zuallererst müsse sie dafür sorgen, dass das Produktivitätswachstum wieder anspringt und mehr Unternehmen von der technologischen Entwicklung profitieren statt einiger weniger, welche die Gewinne dann absahnen. Shanmugaratnam wirbt für technologische Netzwerke kleiner und mittlerer Unternehmen, für Bildungsinvestments in großem Maßstab. Dann komme Optimismus auf, die Produktivität erhöhe sich – und damit auch die Löhne. Und schließlich müsse die Stadtplanung dafür sorgen, dass sich soziale Gruppen nicht mehr absondern könnten und so keine Ghettos entstünden. Das fördere das Verständnis untereinander und stärke die kollektive Verantwortung. Soziale und regionale Mobilität müsse durch Anreize gesteigert statt durch Umverteilung unterbunden werden. ——–Bundesbank-Lecture über den Umgang mit der Ungleichheit in einer Marktwirtschaft.——-