TRUMP ERSCHÜTTERT DIE ÖKONOMISCHE WELTORDNUNG - TEKTONISCHE VERSCHIEBUNGEN IN DER WELTPOLITIK

Politischer Paradigmenwechsel und ein chaotischer Auftakt

Will Donald Trump seine kriselnde Präsidentschaft retten, muss der Dealmacher Verhandlungsgeschick beweisen wie nie zuvor

Politischer Paradigmenwechsel und ein chaotischer Auftakt

Von Peter De Thier, WashingtonNach acht Wochen im Amt des Präsidenten hat Donald J. Trump einen noch nie dagewesenen Paradigmenwechsel in der amerikanischen Politik eingeläutet. Um seine Machtposition zu konsolidieren, stellt er unverzichtbare Bestandteile eines funktionierenden Rechtsstaats in Frage. Und im Interesse der eigenen Vormachtstellung versucht er wichtige Fundamente der weltgrößten Demokratie zu erschüttern: Mit der Umgehung der Gerichte, der Diskreditierung der Presse und der Beleidigung von Geheimdienstchefs. Desillusionierte US-Bürger fragen sich, warum sie den Immobilienunternehmer zum 45. Präsidenten wählten und welche Überraschungen nach den dramatischen Fehltritten der ersten zwei Monate noch zu erwarten sind.Auf der Strecke geblieben sind inmitten des Chaos echte politische Fortschritte. Die anvisierte Steuerreform beschränkt sich auf Tweets sowie Plattitüden, die er bei Pressekonferenzen hinausposaunt. Über einen Ersatz für den Affordable Care Act (ACA), auch als Obamacare bekannt, sind die Republikaner zerstritten. Zudem hat der Präsident erst nach der überhasteten Aufkündigung des transpazifischen Handelsabkommens TPP realisiert, dass das Zimmern bilateraler Abkommen leichter gesagt als getan ist.Als sein erstes Einreiseverbot an der Justiz scheiterte, zweifelte Trump die Kompetenz angesehener Berufungsgerichte an und unterminierte damit die Rechtsstaatlichkeit. Die Integrität der Geheimdienste stellt er in Frage – wohl um von eventuell kompromittierenden persönlichen oder Geschäftsbeziehungen zum Kreml abzulenken. Auf die Unterstützung genau dieser Geheimdienste ist Trump aber im Kampf gegen den internationalen Terrorismus angewiesen. Herkömmliche, angesehene Medien, die objektiv, aber kritisch wiedergeben, was Trump tut und sagt, nennt er “Oppositionspartei” und brandmarkte sie gar als “Feind des Volkes”.Fast jeder Tweet und jede öffentliche Aussage zielt darauf ab, Person und Institutionen, die sein Handeln in Frage stellen, zu diskreditieren. Von unüberlegten Dekreten abgesehen hat Trump aber an den Inhalten gemessen nichts erreicht, im Gegenteil. Das nunmehr überarbeitete Einreiseverbot für Personen aus sechs muslimischen Ländern stellt nach übereinstimmender Expertenmeinung einen herben Rückschlag im Kampf gegen den Terrorismus dar. Der Umgang mit wichtigen Wirtschaftspartnern wie China oder Mexiko beweist, dass er seine Alleingänge unbeirrt fortsetzen wird, selbst wenn intakte diplomatische Beziehungen ebenso wie das Ansehen der USA im Ausland auf der Strecke bleiben. Die Quittung bekommt er in Form von Wählerumfragen präsentiert: Während der ersten Monate im Amt hat kein anderer Präsident in der Geschichte so schlechte Noten bekommen.Die Frage, was sich mehr als 60 Millionen Wähler am 8. November vergangenen Jahres wohl gedacht haben, als sie Trump ihre Stimme schenkten, kann leicht beantwortet werden. Obama kann für sich zwar in Anspruch nehmen, die US-Wirtschaft aus der Weltrezession herausgeführt und zur Überwindung der Finanzkrise beigetragen zu haben. Gleichwohl wurden das Einkommens- und Wohlstandsgefälle während der Obama Jahre immer größer. Auch gingen im produzierenden Gewerbe Hunderttausende Jobs verloren. Selbst wenn die Gesundheitsreform zur Folge hatte, dass 17 Millionen bislang unversicherte Amerikaner nun Krankenschutz genießen, gibt es viele Probleme in diesem Sektor. Drastisch gestiegene Beiträge für die Mittelklasse und viele Firmen, die Mitarbeiter entlassen, statt sich an deren Beitragszahlungen zu beteiligen. Kein anderer Kandidat konnte sämtliche Schwachstellen seines Vorgängers so schonungslos und medienwirksam bloßlegen wie Trump. Deswegen wurde er von Wählern in den sogenannten “Rostgürtelstaaten”, die auf das krisengeschüttelte produzierende Gewerbe angewiesen sind, mit der Stimmenmehrheit belohnt.Ungeachtet der Unvorhersehbarkeit eines politisch unerfahrenen Präsidenten hat sich nach zwei Monaten dennoch ein Verhaltensmuster herauskristallisiert, das Aufschluss darüber gibt, was in den kommenden Jahren zu erwarten ist: Trump ist nämlich entgegen den Hoffnungen vieler etablierter Politiker, die geglaubt hatten, dass er in Wirklichkeit ein verkappter Demokrat sei und mehr von der Mitte regieren würde, noch konservativer als erwartet.Ob von Eitelkeit oder von Loyalität gegenüber seinen Anhängern getrieben, scheint der Präsident darauf bedacht zu sein, ohne Rücksicht auf die Folgen jedes seiner zum Teil abstrusen und überzogenen Wahlversprechen kompromisslos einzulösen. An seinem Versprechen, Muslimen die Einreise zu verweigern, hält er ebenso fest wie dem geplanten Bau einer Mauer entlang der mexikanischen Grenze. Auch ist Trump darauf versessen, Obamacare zu kippen, selbst wenn die Republikaner sich schwertun, eine Nachfolgelösung zu finden. Seine Ankündigung, “den Washingtoner Sumpf trockenzulegen”, hat in einem Lobbyingverbot für Politiker seinen Niederschlag gefunden, die in den Privatsektor überwechseln. Ansonsten nimmt er es mit Ethikregeln aber nicht so ernst.Bleibt Trump auf Kurs, wird er indes an kaum überwindbare Grenzen stoßen. Über ein Gesetz zur Ablösung von Obamacare sind die Republikaner nämlich heillos zerstritten. Konservative halten den vorliegenden Entwurf, der staatliche Zuschüsse zu Prämienzahlungen lediglich mit Steuergutschriften ersetzen würde, für eine verwässerte Version des alten Gesetzes. Ähnlich verhält es sich in der Handelspolitik. Kaum hatte er TPP aufgekündigt, begannen Trumps Unterhändler schon, bei einzelnen asiatischen und europäischen Ländern anzuklopfen, um ihr Interesse an bilateralen Verträgen zu bekunden. Dass das Verhandlungsmandat für Handelsabkommen im Falle der EU aber nicht bei den einzelnen Regierungen liegt, musste Trump erst lernen.Überraschungen wird der Präsident auch erleben, wenn es darum geht, das Steuersystem zu reformieren. Zahlreiche seiner Vorgänger haben sich an dem Versuch, das komplexe US-Steuergesetz zu vereinfachen, die Zähne ausgebissen. Trump aber will es so transparent und verständlich machen, dass “alles auf eine Seite passt”. Dies erscheint ebenso utopisch wie der Wunsch, US-Unternehmen und die Mittelklasse zu entlasten, seine reichen Kumpels mit Steuernachlässen zu beglücken und gleichzeitig den staatlichen Schuldenberg abzutragen.Die tiefe Kluft zwischen Wahlversprechen und politischer Realität macht dem Präsidenten schon jetzt schwer zu schaffen. Will er Erfolg haben, wird Trump massive Abstriche von seinen Ankündigungen machen müssen. Das indes könnte jene Wähler verärgern, die ihn ins Amt hievten. Bereits im November kommenden Jahres könnten sie die Republikaner und somit Trump bei den Kongresswahlen abstrafen. Um eine jetzt schon kriselnde Präsidentschaft retten zu können, wird “der große Dealmaker” Verhandlungsgeschick beweisen müssen wie nie zuvor.