Großbritannien

Politisches Erdbeben in North Shropshire

Angesichts des Verlusts eines vermeintlich sicheren Unterhausmandats wächst der Druck auf Premierminister Boris Johnson. Viele sehen die Nachwahl als Volksabstimmung über seinen Regierungsstil.

Politisches Erdbeben in North Shropshire

hip London

Die britischen Konservativen haben bei der Nachwahl in North Shropshire ein vermeintlich sicheres Unterhausmandat an die Liberaldemokraten verloren. Sofort wurde im „Telegraph“ die Frage laut, ob Premierminister Boris Johnson noch ein Zugpferd für die Partei ist oder schon eine Belastung. Von vielen Medien wurde die Wahl zur Volksabstimmung über seinen Regierungsstil erklärt.

In dem ländlichen Wahlkreis, wo man sich für den EU-Austritt aus­gesprochen hatte, hatten die Tories bei den regulären Wahlen vor zwei Jahren eine Mehrheit von fast 23000 Stimmen. Diesmal lagen die EU-freundlichen Liberaldemokraten um rund 6000 Stimmen vorn. Die Nachwahl wurde wegen des Rücktritts von Owen Paterson erforderlich. Der Lobby-Skandal um Paterson war der Beginn einer Serie von Pleiten und Pannen, die das Image Johnsons in der Öffentlichkeit beschädigt haben. Das Commons Standards Committee wollte Paterson wegen seiner bezahlten Beratertätigkeiten für die PCR-Test-Anbieter Randox und Lynn’s Country Foods für 30 Tage suspendieren, weil sie sich aus Sicht des Komitees nicht mit den Lobby-Regeln des Parlaments vereinbaren ließen. Johnson stellte sich aber hinter ihn und plädierte für eine Verfahrensänderung in solchen Fällen. Dazu kam es nach einem öffentlichen Aufschrei jedoch nicht mehr. Paterson legte sein Amt nieder.

Skandal folgt auf Skandal

Es folgten diverse Enthüllungen über Partys, die sich in der Downing Street während der Lockdowns zugetragen haben sollen, in denen der Rest der Bevölkerung angewiesen worden war, zu Hause zu bleiben. Zudem brummte die Wahlbehörde den Tories eine Geldstrafe auf, weil sie eine Spende für den luxuriösen Umbau von Johnsons Dienstwohnung nicht ordnungsgemäß anmeldeten. Dann stimmten 100 Tory-Abgeordnete gegen die neuen 3G-Regeln der Regierung. Johnson stand ohne eigene Mehrheit da, obwohl sich die Tories bei den Wahlen vor zwei Jahren einen Vorsprung von 80 Sitzen sichern konnten.

„Millionen von Menschen haben genug von Boris Johnson und seiner Unfähigkeit, während der Pandemie Führungsstärke zu zeigen“, feierte der Chef der Liberaldemokraten, Ed Davey, auf Twitter den Wahlsieg der Kandidatin seiner Partei, Helen Morgan. „Die Wähler von North Shrop­shire haben für sie alle gesprochen.“ Das Ergebnis weckt Erinnerungen an die Nachwahl in Eastbourne 1990, die als Referendum über die damalige Premierministerin Margaret Thatcher gewertet wurde. Das vermeintlich sichere Mandat der Tories ging damals an die Liberaldemokraten. Sechs Wochen später war Thatcher nicht mehr im Amt.

Unterdessen unterzeichnete die Staatssekretärin für internationalen Handel, Anne-Marie Trevelyan, in einer virtuellen Zeremonie ein Freihandelsabkommen mit Australien. Johnson und sein australischer Amtskollege Scott Morrison hatten sich im Juni in London auf die Grundzüge der Übereinkunft geeinigt.

Aktuelle Daten zum Verbrauchervertrauen und zum Einzelhandelsumsatz im November deuten darauf hin, dass die private Nachfrage trotz des zunehmenden Preisauftriebs robust geblieben ist. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, stieg der Einzelhandelsumsatz um 1,4%. Volkswirte hatten dagegen nur ein Plus von 0,8% auf der Rechnung. Zudem wurde das Wachstum im Oktober um 0,3 Prozentpunkte auf 1,1% nach oben revidiert. Der Anteil des online erwirtschafteten Umsatzes ging im November auf den niedrigsten Stand seit März 2020 zurück, lag aber mit 26,9% immer noch über den vor Ausbruch der Pandemie üblichen Werten, die sich bei um die 20% bewegten. Der von der GfK erhobene Index für das Verbrauchervertrauen ging im Dezember von –14 auf –15 zurück. „Angesichts der Covid-19-Situation nicht schlecht“, urteilte die HSBC-Volkswirtin Elizabeth Martins. Der Wert liege zudem höher als im Oktober.

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