LEITARTIKEL

Pulverfass Westpazifik

Die Wahlen in Taiwan am Samstag haben nicht viele auf dem Radar. Das ist ein Fehler. Denn hier spielt einer der Konflikte, die das kommende Jahrzehnt weit mehr prägen werden als die Rückzugsgefechte des Westens im Nahen Osten: der Kampf um die...

Pulverfass Westpazifik

Die Wahlen in Taiwan am Samstag haben nicht viele auf dem Radar. Das ist ein Fehler. Denn hier spielt einer der Konflikte, die das kommende Jahrzehnt weit mehr prägen werden als die Rückzugsgefechte des Westens im Nahen Osten: der Kampf um die Vorherrschaft im Westpazifik. Darum ging es bereits im Krieg mit Japan. Heute steht den Vereinigten Staaten mit der Volksrepublik China erneut ein aufstrebender Rivale gegenüber. Ihr Staatschef Xi Jinping hat klargemacht, dass sich sein Regime Taiwan zur Not auch mit Gewalt unterwerfen will.Wer zu jung ist, um den Kalten Krieg bewusst erlebt zu haben, sollte die Insel Kinmen in der Taiwan-Straße besuchen. Die Bunker und Befestigungsanlagen sind hier noch in Betrieb. Die Volksrepublik zielt mit Hunderten von Mittelstreckenraketen auf Taiwan. In Souvenirläden werden Küchenmesser angeboten, die aus chinesischen Artilleriegeschossen geschmiedet wurden. Immer wieder dringen chinesische Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe in den taiwanischen Luftraum bzw. die Hoheitsgewässer der Insel ein.Eine Entscheidung der Taiwaner für den Anschluss an China wäre das Ende der Pax Americana in der Region. Sie würde Peking die Annexion des Südchinesischen Meers erleichtern, durch das sich ein Drittel des weltweiten Seehandels bewegt. Japan – die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt – müsste um seine Versorgungswege fürchten. Noch sprechen sich die Nationalisten von der Kuomintang, denen an einem immer engeren Verhältnis zu Peking gelegen ist, nicht offen für die Vereinigung aus. Doch ist klar, wofür die Partei steht. Nachdem die Taiwaner gesehen haben, wie die Demokratiebewegung in Hongkong niedergeknüppelt wurde, glauben sie nicht mehr an den Slogan “Ein Land, zwei Systeme”. Die Chancen von Präsidentin Tsai Ing-wen von der demokratischen Fortschrittspartei DPP auf die Wiederwahl haben sich dadurch deutlich erhöht. Sie kann auf die Unterstützung der USA zählen, die sich immer klarer auf die Seite der DPP stellen.Die Bemühungen Pekings, die Wahl durch Desinformation zu beeinflussen, stellen derweil alles in den Schatten, was bei den US-Präsidentschaftswahlen und beim britischen EU-Referendum zu beobachten war. Facebook hat angeblich einen “War Room” in Taipeh eingerichtet, um die Verbreitung von Fake News eindämmen zu können. Twitter schulte Mitarbeiter der Wahlkommission und der politischen Parteien. Für die meisten westlichen Medien ist das jedoch kein Thema, schließlich lässt sich daraus keine Anti-Trump- oder Anti-Brexit-Geschichte stricken. Wirtschaftlich hat die Abkehr von Peking der widerspenstigen Inselrepublik unter Tsai nicht geschadet. Taiwan hat von der Neuorganisation der globalen Beschaffungsketten wegen des Handelskonflikts zwischen Washington und Peking profitiert. Viele Unternehmen haben einen Teil der von ihnen in die Volksrepublik ausgelagerten Produktion zurückgeholt. Die Regierung will die Abhängigkeit von China durch eine stärkere Orientierung nach Südostasien verringern. Die taiwanische Wirtschaft entwickelte sich im vergangenen Jahr besser als die von Singapur oder Südkorea. Der Aktienmarkt legte um ein Viertel zu.Wenn Tsai die Präsidentschaftswahl gewinnt, ist die Machtfrage noch nicht abschließend geklärt. Denn es dürfte ihrer Partei nicht so leicht fallen, eine arbeitsfähige Mehrheit im Parlament zu erreichen. Neue Parteien wie die New Power Party, die sich für eine Unabhängigkeitserklärung starkmacht, werden der Regierung Stimmen abjagen. Unwahrscheinlich ist allerdings, dass dies den Vertretern einer schleichenden Übernahme durch die Volksrepublik helfen wird. Xi wird sich dadurch nicht entmutigen lassen. Er hat das Land international weitgehend isoliert.——Von Andreas HippinTaiwan wird sich bei der Wahl am Samstag gegen die Fürsprecher Pekings entscheiden. Schnell könnte daraus ein militärischer Konflikt werden. ——