Jahrestag

Putin gibt der Nato die Schuld

Die Feiertagsrede von Kremlchef Wladimir Putin zum 77. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland brachte keine neuen Erkenntnisse über sein weiteres Vorgehen. Offenbar hat er Angst vor einer vorschnellen Festlegung.

Putin gibt der Nato die Schuld

est zzt. Wien

Letztlich hat Russlands Präsident Wladimir Putin mit seiner gestrigen Rede bei der Militärparade in Moskau alle Seiten gleichermaßen ernüchtert zurückgelassen. Die Erwartungen der Friedenswilligen waren hoch gewesen, die Prognosen der Pessimisten düster. Aber der Kremlchef hat weder ein Ende der militärischen Spezialoperation, wie das offizielle Russland den Angriffskrieg in der Ukraine bezeichnet, noch eine Annexion der ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk verkündet. Auch eine Generalmobilmachung und eine Kriegserklärung waren nicht das Thema, geschweige denn eine Anwendung neuer Waffensysteme.

Was Putin zum 77. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg indes hervorhob, war der Grund für die russische Militäroperation in der Ukraine: Dass die Nato über Jahre eine für Russland „absolut inakzeptable Bedrohung“ geschaffen habe. „Der Block der Nato hat eine aktive militärische Erschließung der an unser Gebiet angrenzenden Territorien begonnen“, sagte er. Russland habe präventiv eine Aggression des Westens abgewehrt. „Das war die einzig richtige Entscheidung.“ Russland habe dem Westen im Dezember einen Vertrag über Sicherheitsgarantien, einen Dialog und die gegenseitige Wahrung von Interessen vorgeschlagen. „Alles umsonst“, beklagte der 69-Jährige: „Die Staaten der Nato wollten uns nicht hören. Und das heißt, dass sie völlig andere Pläne hatten.“

Auch wiederholte Putin den Vorwurf, die Ukraine habe eine Wiedererlangung von Atomwaffen angestrebt. Zudem habe die Ukraine einen Angriff auf die prorussischen Separatistengebiete in der Ostukraine und auf die von Russland 2014 annektierte Halbinsel Krim vorgehabt. Im Übrigen warnte der Kremlchef einmal mehr auch vor einem neuen Weltkrieg. Aufgabe sei es, „wachsam zu sein und alles zu tun, damit sich die Schrecken eines globalen Krieges nicht wiederholen“.

Ukraine weist Vorwurf zurück

Was Putins Vorwürfe an die Ukraine betrifft, so wurden sie gestern umgehend von Präsident Wolodymyr Selenskyj zurückgewiesen. Die Ukraine sieht im russischen Vorgehen einen Vernichtungskrieg mit dem Ziel, die Ukraine als Land zu zerstören.

„Putin hat sich mit seiner Rede ganz im Rahmen jener Positionen bewegt, die er schon vorher vertreten hatte“, sagte Alexej Makarkin, Vizechef des Moskauer Zentrums für Politische Technologien, auf Anfrage der Börsen-Zeitung. „Er will ganz offenbar keinen Schritt setzen, den er nicht mehr rückgängig machen kann und der seinen Spielraum einengen würde.“ Dies betreffe auch die Verhandlungen mit der Ukraine, die stockten, die er aber nicht völlig abdrehen wolle. Präsidentenberater Wladimir Medinski, der das russische Verhandlungsteam leitet, hat gestern erklärt, die Gespräche würden vorerst online weitergehen. Für ein nächstes direktes Treffen brauche es „mehr Konkretes“.

Während die Ukraine auf mehr Waffenlieferungen aus dem Westen hofft und auf eine Niederlage Russlands abzielt, steht Putin vor dem großen Problem, den seit 24. Februar währenden Krieg, mit dem er sich folgenschwer verschätzt hat, im Inland als Erfolg zu verkaufen. Es gebe zwar viele Vorstellungen davon, was das Maximum des Erfolges sein könnte, so Makarkin, aber worin das Minimum der Erfolgsergebnisse bestehe, bleibe noch unklar. Die Bevölkerung stehe nach wie vor mehrheitlich hinter der Militäroperation und möchte in alter Sowjetmentalität, dass das, was bisher unternommen wurde, nicht umsonst gewesen sei. Bezeichnenderweise warnte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gestern davor, den Kreml wie nach dem Ersten Weltkrieg zu demütigen.

Putin hat gestern jedenfalls Verluste einräumen müssen. Offiziell werden sie mit 1351 gefallenen Soldaten beziffert. Westliche Militärexperten gehen indes von mehreren Tausend aus. Putin sicherte den „Gefallenen und Verwundeten“ Hilfen und diverse Privilegien zu. „Auf Russland! Auf den Sieg!“, sagte Putin am Ende seiner Rede.

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