Gaslieferungen

Putins Retour­kutsche bringt Europa in Not

„Vertragsbruch“ dulden, eigene Sanktionen unterlaufen und die Ukraine vor den Kopf stoßen? Oder einen Gas-Lieferstopp riskieren? Europa steckt nach Putins Rubel-Konter gleich mehrfach im Dilemma.

Putins Retour­kutsche bringt Europa in Not

rec Frankfurt

Die Ankündigung von Russlands Präsident Wladimir Putin, Rechnungen für Gaslieferungen einseitig auf Rubel umzustellen, bringt die Bundesregierung und andere EU-Staaten in mehrfacher Hinsicht in eine missliche Lage. Beugen sie sich dem, würden sie einen „Vertragsbruch“ Russlands dulden, mutmaßlich ihre eigenen Sanktionen unterlaufen und die Ukraine vor den Kopf stoßen. Stellen sie ihre Zahlungen nicht von Euro auf Rubel um, riskieren sie einen Stopp russischer Gaslieferungen und womöglich eine wirtschaftliche Rezession.

Putin hatte am Mittwoch Aufsehen erregt mit der Ansage, Zahlungen für russische Gaslieferungen nur noch in Rubel zu akzeptieren. Details sollen kommende Woche folgen. Den Konzern Gazprom hat der Kreml bereits beauftragt, die Zahlungen umzustellen. Die Regelung gilt für eine Reihe „unfreundlicher Staaten“, die gegen Russland Sanktionen wegen des Angriffskriegs in der Ukraine verhängt haben. Darunter sind sämtliche EU-Staaten. Sie beziehen zum Teil beträchtliche Mengen Gas aus Russland – nicht zuletzt Deutschland (siehe Grafik).

Aufmerksam registrierten Marktbeobachter Äußerungen von Francesco Giavazzi, Wirtschaftsberater von Italiens Präsident Mario Draghi: Zahlungen in Rubel würden Sanktionen umgehen, „daher denke ich, dass wir weiter in Euro bezahlen werden“. Italien ist nach Deutschland mengenmäßig der zweitgrößte Abnehmer russischen Erdgases.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der am Donnerstagabend erneut mit Vertretern der Dax-Konzerne beraten wollte, warf Putin Vertragsbruch vor. Das Ministerium bekräftigte diese Darstellung am Donnerstag. Ähnlich äußerte sich der zum Beraterstab des Ministeriums gehörende Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. FDP-Vize Wolfgang Kubicki riet laut Deutscher Presse-Agentur, „diesen billigen Versuch der Eskalation“ zu „ignorieren“. Bankanalysten teilen die Einschätzung, dass ein abrupter Wechsel der Währung angesichts langfristiger Lieferverträge kaum möglich wäre. Circa 60% von Europas Gaszahlungen an Russland sind in Euro, 40% in Dollar.

Ökonomen verwiesen darauf, dass angesichts der massiven Sanktionen gegen die Zentralbank und Geschäftsbanken in Russland unklar ist, wie europäische Firmen an ausreichend Rubel kommen sollen. Ralf Umlauf, Volkswirt der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), bezweifelt, dass die Liquidität am Rubel-Markt dafür ausreicht. „Besonders tief dürfte der Markt nicht sein, weil ja alle westlichen Länder faktisch außen vor sind“, sagte Umlauf, der ein „politisches Signal“ und eine „Retourkutsche“ Putins für die Sanktionen der EU und Verbündeter vermutet.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schaltete sich mit einer harschen Warnung an die EU-Staaten ein. Es wäre demütigend, falls ein EU-Land darauf eingehen sollte, schrieb Kuleba am Donnerstag im Kurznachrichtendienst Twitter. „Das ist, als ob man mit einer Hand der Ukraine hilft und mit der anderen Russland hilft, Ukrainer zu töten.“ Die Europäer sollten „eine weise und verantwortungsvolle Entscheidung“ treffen, schrieb Kuleba.

Rufe nach Gas-Notfallplan

Angesichts von Putins Ankündigung forderte der Verband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW, die Frühwarnstufe im nationalen Notfallplan Gas auszurufen. BDEW-Chefin Kerstin Andreae sagte: „Es liegen konkrete und ernstzunehmende Hinweise vor, dass wir in eine Verschlechterung der Gasversorgungslage kommen.“ Das Wirtschaftsministerium wies das Ansinnen zurück. Dafür gebe es aktuell keine Notwendigkeit. Die Lage müsse aber weiter beobachtet werden. Die EU-Kommission prüft derweil kaut Kommissionsvize Valdis Dombrovskis „Szenarien für eine teilweise oder volle Unterbrechung von Gasflüssen aus Russland nächsten Winter“.

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