Quasi-Impfpflicht sorgt für Spannungen in Italien
bl Mailand
Verschärfte Anti-Corona-Regeln für das Berufsleben, die quasi einer Impfpflicht gleichkommen, sorgen in Italien für massive Spannungen. Zur Einführung des grünen Passes drohen Streiks, Blockaden mehrerer Häfen sowie gewalttätige Auseinandersetzungen im ganzen Land. Von Freitag an dürfen nur noch Geimpfte und Genesene sowie Getestete mit einem Test, der nicht älter als 48 Stunden sein darf, zur Arbeit kommen. Arbeitnehmer müssen für die Tests um die 15 Euro zahlen. Nach Schätzungen gibt es in Italien trotz einer Quote von 80% vollständig Geimpfter ab zwölf Jahren fast vier Millionen nicht geimpfte Arbeitnehmer. Wer die Auflagen nicht erfüllt, gilt als unentschuldigt fehlend und erhält kein Gehalt. Bei Verstößen drohen Beschäftigten und Arbeitgebern hohe Strafen.
Beobachter fürchten massive wirtschaftliche Schäden. Die tausend Mitarbeiter des Hafens von Triest kündigten eine Blockade an und fordern die Rücknahme des grünen Passes. Auch in anderen Häfen, insbesondere in Genua, drohen massive Behinderungen – zum Teil auch, weil Fernfahrer gegen die extrem langen Abfertigungszeiten in Italiens größtem Hafen protestieren. Problematisch ist, dass es nicht nur Engpässe bei den Fernfahrern gibt, sondern dass viele von ihnen nicht oder mit in der EU nicht zugelassenen Impfstoffen wie Sputnik geimpft sind. Auch in einigen Unternehmen soll gestreikt werden. Es könnte zu Versorgungsengpässen kommen.
Angesichts der angespannten Lage wollen einige Unternehmen wie Ducati, Metro, die Biokette Natura Sì, Ima oder Ilva die Kosten für Tests Ungeimpfter übernehmen. Die Regierung hat die Arbeitgeber in den Häfen aufgefordert, auch so zu verfahren. Das hat den Chef des Industrieverbands Confindustria, Carlo Bonomi, in Rage gebracht. Denn die Kosten für die regelmäßigen Tests werden landesweit auf etwa 600 Mill. Euro pro Jahr geschätzt. Lega-Chef Matteo Salvini, die 5-Sterne-Bewegung und die Rechtspartei Fratelli d’Italia fordern dennoch kostenlose Tests für alle auf Steuerzahlerkosten. Apotheken und andere Teststationen sind auf eine so hohe Nachfrage, die sich auf die Morgenstunden konzentriert, gar nicht eingestellt.
Die Spannungen könnten das starke Wachstum von um die 6% in diesem Jahr bremsen. Denn auch in anderen Sektoren wie der Landwirtschaft, bei Ordnungskräften sowie in der Verwaltung gibt es viele Ungeimpfte, die nun womöglich nicht zur Arbeit erscheinen. Verschärft wird die Lage durch allgemeine Probleme, etwa bei der Versorgung mit Komponenten und Chips, sowie steigende Energiepreise.
Die sozialen Spannungen nehmen zu. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Impfgegnern und Neofaschisten, die vergangenen Samstag die Zentrale der Gewerkschaft CGIL sowie ein Krankenhaus verwüsteten, sind weitere Konflikte zu erwarten. Gewerkschaften und linke Parteien haben für Samstag zu Großkundgebungen aufgerufen. Es drohen erneut gewalttätige Konflikte mit Links- und Rechtsextremen. Die Regierung hat angekündigt, die Sicherheitsmaßnahmen für den G20-Gipfel am 30. und 31. Oktober in Rom massiv zu verstärken.
Seit Monaten demonstrieren Beschäftigte etwa von Alitalia, aber auch von Unternehmen wie GKN, Whirlpool, Ilva oder in der Gastronomie gegen geplante Werksschließungen oder Entlassungen. Um die sozialen Spannungen zu dämpfen, hat Premierminister Mario Draghi die großzügigen Kurzarbeitsregeln um weitere 13 Wochen verlängert.
Er ist überzeugt, Italien nur durch strenge Anti-Covid-Maßnahmen auf Kurs bringen zu können. Zwar ist seine von einer breiten Mehrheit getragene Regierung nicht in Gefahr, weil Draghi als Respektsperson gilt, gegen den sich angesichts seiner Beliebtheit niemand offen auflehnt. Doch die Konflikte innerhalb der Regierung zwischen den Rechtsparteien Forza Italia und Lega sowie der sozialdemokratischen PD und der 5-Sterne-Bewegung nehmen massiv zu.