EU-Finanzpolitik

Rechnungshof verweigert Testat für Teile des EU-Haushalts

Die Rechnungsprüfer der EU sprechen von einem „besorgniserregenden Trend“: Immer mehr Ausgaben sind fehlerhaft und vorschriftswidrig. Zudem nimmt die Verschuldung zu, ohne dass vollends klar ist, woher Brüssel das Geld für die Tilgung hernehmen kann.

Rechnungshof verweigert Testat für Teile des EU-Haushalts

Rechnungshof verweigert Testat für EU-Haushalt

Teile des Budgets vorschriftswidrig – Systemmängel und fehlerhafte Zahlungen kritisiert – Verschuldung wächst rasant

Die Rechnungsprüfer der EU sprechen von einem „besorgniserregenden Trend“: Immer mehr Zahlungen an die Mitgliedsländer sind fehlerhaft und vorschriftswidrig. Zudem nimmt die Verschuldung zu, ohne dass klar ist, woher das Geld konkret kommen soll.

lz Frankfurt

Die Budgetpolitik der EU ist in immer größerem Maße vorschriftswidrig und fehlerhaft. Betrügereien, falsche oder unsaubere Deklarationen der Mittelverwendung durch Mitgliedsländer, fehlende bzw. inkorrekte formale Beschlüsse und andere „Unregelmäßigkeiten“ haben den Europäischen Rechnungshof auf den Plan gerufen. In seinem Jahresbericht versagt er daher für Teile des EU-Haushalts das Prüfungsurteil oder schränkt das Testat ein.

Besonders kritisch scheint die Entwicklung bei der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) zu sein. Das ist jener Fonds, der die wichtigste Säule des Corona-Aufbaupakets „NextGenerationEU“ (NGEU) darstellt. Rechnungshofpräsident Tony Murphy spricht von „Unregelmäßigkeiten bei einem Teil der 48 Mrd. Euro“. Die Prüfer seien auf Zahlungen gestoßen, „für die nicht alle Bedingungen erfüllt waren, sowie auf Schwachstellen in den Kontrollsystemen der EU-Länder“. Insgesamt monieren sie rund ein Drittel der ARF-Zahlungen.

Fehlerquote bei 5,6%

Die Mittel sind nach den Worten des Rechnungshofpräsidenten damit aber „nicht wirkungslos“ oder fehlgeleitet. Vielfach seien für die korrekte Verwendung schlichtweg die nötigen formalen Voraussetzungen nicht vorhanden gewesen oder beigebracht worden. Vor allem die besonderen Umstände während und nach der Pandemie hätten viele Behörden in den Mitgliedsstaaten überfordert.

In der Begrifflichkeit des Berichts wird dies als „Fehlerquote“ bezeichnet. Diese sei in den vergangenen Jahren aber auch bei Ausgaben im Rahmen des regulären EU-Haushalts immer weiter angestiegen. Hier beträgt die Fehlerquote inzwischen 5,6%, was etwa ein Volumen von knapp 10 Mrd. Euro bedeutet; im Jahr 2020 lag sie noch bei 2,7% und 2022 bei 4,2%.

Diese Problematik mache deutlich, so Murphy, „dass wir sowohl auf Ebene der Mitgliedsstaaten als auch auf EU-Ebene solide Aufsichts- und Rechenschaftsmechanismen benötigen, damit wir das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht verspielen und um künftige EU-Haushalte abzusichern“.

Der deutliche Anstieg der Fehlerquote im regulären Haushalt geht dabei vor allem auf die Mittelverwendung über den Kohäsionsfonds zurück. Mit diesem werden in jenen Mitgliedstaaten, deren Bruttonationaleinkommen pro Kopf bei unter 90% des EU-Durchschnitts liegt, Umweltvorhaben und Projekte im Bereich der transeuropäischen Netze finanziell unterstützt. Es geht um ein Gesamtvolumen von 378 Mrd. Euro für die Kohäsions- und Strukturpolitik der EU. Die Fehlerquote liegt hier bei 9,3% (2022: 6,4%). Möglicher Grund sei der Zeitdruck in den nationalen Behörden, wenn es darum gehe, Gelder aus miteinander konkurrierenden Fonds auszugeben.

Staatsanwaltschaft informiert

Manche der fehlerhaften Zahlungen wurden vom Rechnungshof an das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) gemeldet. Für das vergangene Jahr waren es 20 Fälle (2022: 14 Fälle). Die Prüfer sprechen von „mutmaßlichem Betrug“. Weitere 17 Fälle seien direkt der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) gemeldet worden.

Extrem radikale Reform

Skeptisch sieht der Rechnungshof die Vorschläge der EU-Kommission für eine grundlegende Reform des EU-Haushalts. Murphy hält den Wechsel auf ein Fondsregime, das die Gelder wie beim ARF-Fonds unter Bedingungen an Mitgliedsländer ausreicht und so die Komplexität der zahlreichen Programme reduziert, für „extrem radikal, aber auch problematisch“.

Murphy warnt vor damit einhergehenden Einschränkungen bei den Kontrollmöglichkeiten für die korrekte Mittelverwendung. Die Kontrollprobleme beim ARF zeigten, dass hier nachgesteuert werden müsse. Würden die Reformvorschläge offiziell vorgestellt, müsse die EU-Kommission aufzeigen, wie unter dem neuen Regime die Kontrollinstanzen weiter funktionieren könnten. Entscheidend sei, dass es für den Rechnungshof ein „Link“ zur konkreten Mittelverwendung gebe.

Nicht alles abgebildet

Als problematisch stuft der Rechnungshof außerdem die steigenden Zahlungsverpflichtungen der EU ein, die bislang noch nicht im Haushalt abgebildet werden. Sie hätten Ende 2023 ein Rekordniveau von 543 Mrd. Euro erreicht. Gleichzeitig seien die Schulden der EU „in die Höhe geschnellt“ auf 452,8 Mrd. Euro; ein Anstieg um 32% gegenüber 2022. Dies geht in erster Linie auf Anleihen in Höhe von 268,4 Mrd. Euro für das NGEU-Programm zurück. Diese sollen ab 2028 Schritt für Schritt getilgt werden, was Wechselwirkungen und Beschränkungen für andere EU-Ausgabenprogramme bedeuten würde, betont Rechnungshofpräsident Murphy.

Inzwischen sei die EU einer der größten Emittenten von Schuldtiteln in Europa. Allerdings, monieren die Prüfer, sei unklar, „ob der Eigenmittelvorschlag der Kommission ausreichende Einnahmen für die Rückzahlung der NGEU-Schulden einbringen wird“. Die zusätzlichen Kosten für NGEU-Anleihen schätzt der Rechnungshof auf 17 bis 27 Mrd. Euro.


Zum Kommentar: Besser Reform statt Revolution

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