Reformen im schwindelerregenden Tempo

Macron treibt den Umbau der Rahmenbedingungen für die französische Wirtschaft unerbittlich voran

Reformen im schwindelerregenden Tempo

Von Gesche Wüpper, ParisEr befand sich 6 582 Kilometer von Paris entfernt in Neu-Delhi. Doch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nutzte seinen Staatsbesuch in Indien auch, Innenpolitik zu machen. “Wir werden Frankreich weiterhin von Grund auf reformieren”, kündigte er an. Denn er sei überzeugt, dass sich sein Land verändern müsse, um den Rückstand aufzuholen, den es seit Jahrzehnten angesammelt habe. Dieser Umbau sei jedoch nicht in sechs Monaten zu bewerkstelligen, schwor er die Franzosen auf weitere Reformen ein. Macron gönnt Frankreich keine Atempause. Er nimmt eine Reform nach der anderen in Angriff. Er gibt ein Tempo vor, dass es Gewerkschaften und Opposition schwindelig wird. Bis Mitte April soll der Gesetzentwurf für die Reform der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der Arbeitslosenversicherung vorliegen, kurz danach ein Gesetz, das kleinen und mittleren Unternehmen das Leben erleichtern soll. Noch vor dem Sommer soll das Parlament über die Eckpunkte der Bahnreform abstimmen, die wie die Arbeitsrechtsreform mit Hilfe von Dekreten umgesetzt werden soll. Im Frühjahr will die Regierung zudem den Fahrplan der für nächstes Jahr geplanten Reform der Rentenkassen vorlegen und bis Ende des Jahres die Ziele für den Umbau der öffentlichen Verwaltung. In den nächsten Monaten werde es bei jedem wöchentlichen Ministerrat einen neuen Gesetzentwurf geben, verkündete Regierungssprecher Benjamin Grivaux. Macrons Strategie besteht zum Einen darin, Tempo vorzugeben, damit Gewerkschaften und Opposition keine Zeit haben, sich auf Proteste gegen ein bestimmtes Reformvorhaben einzuschießen. Zum anderen will er die Reformen rechtzeitig lancieren, damit sie am Ende seiner Amtszeit beginnen, Wirkung zu zeigen. Er weiß auch, dass der Beginn seines Mandats das günstigste Zeitfenster für Umbaupläne ist. Würde er so wie seine Vorgänger zu lange warten, bestünde die Gefahr, dass die Bevölkerung seiner schon zu überdrüssig ist und der Widerstand wächst. Beliebtheit nimmt abWie bei seinen Vorgängern François Hollande, Nicolas Sarkozy und Jacques Chirac sind auch die Beliebtheitswerte von Macron seit seinem Amtsantritt im Mai bereits deutlich zurückgegangen. Laut einer Anfang März von Ifop-Fiducial durchgeführten Umfrage befürworten nur noch 44 % der Franzosen die Politik Macrons. Während 68 % finden, dass er die Interessen Frankreichs im Ausland gut vertritt, beurteilen nur 45 % seine Wirtschaftspolitik positiv. In einer kurz zuvor von Elabe durchgeführten Umfrage erklärten jedoch 51 % der Befragten, dass sie von Macrons Regierung erwarten, das Land grundlegend zu reformieren. Das Staatsoberhaupt hat bereits wissen lassen, dass er sich von den in Frankreich wöchentlich erscheinenden Umfragen nicht verrückt machen lassen will. Was zähle, sei die gründliche Arbeit, die man als Präsident für das Land mache, findet er.”Es ist unbestritten, dass die Regierung für Firmen günstigen Strukturreformen die Priorität vor Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft der Haushalte gibt”, urteilt Bruno Cavallier, der Chefökonom von Oddo BHF. Für ihn ist es deshalb auch nicht verwunderlich, dass das Vertrauen der Verbraucher derzeit nicht so gut wie das der Unternehmenschefs ist. Macron habe die Reformen lanciert, die der Internationale Währungsfonds Frankreich seit langem empfohlen habe, lobt IWF-Chefin Christine Lagarde. Dazu gehören die letztes Jahr beschlossene Reform des Arbeitsrechts sowie die nun geplanten Veränderungen der beruflichen Aus- und Weiterbildung und der Arbeitslosenversicherung.Obwohl die Arbeitslosenquote im vierten Quartal 2017 noch immer bei 8,6 % und inklusive der Übersee-Départements bei 8,9 % lag, klagen immer mehr Firmen, dass sie Mühe haben, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Macron will deshalb die Berufsausbildung besser an die Bedürfnisse der Betriebe anpassen und attraktiver machen. Denn die meisten Schüler streben nach dem Abschluss ein Studium an – obwohl die Aussichten für eine Festanstellung nach einer Lehre gut und die Abbruchquote bei Studierenden hoch ist. Trotzdem gilt jemand, der eine Ausbildung macht, in den Augen vieler Franzosen als Verlierer, der es nicht an die Hochschule geschafft hat.Um Berufsausbildungen attraktiver zu machen, will die Regierung das Lehrgeld, die Altersgrenze für Lehrlinge und die Arbeitszeiten für minderjährige Auszubildende anheben. Sie will auch Vorbereitungskurse für Ausbildungen einführen und den Ausbildungsbeginn vom Schuljahr entkoppeln. Arbeitnehmer sollen künftig bis zu 800 Euro für Weiterbildung erhalten, finanziert von Unternehmen. Zudem soll der Zugang zu Universitäten neu geregelt werden. Arbeitnehmer, die selber kündigen, weil sie ein Projekt für eine berufliche Neuorientierung haben, sollen künftig ebenfalls Arbeitslosengeld erhalten. Gleichzeitig sollen Empfänger jedoch auch strenger kontrolliert werden, ob sie tatsächlich eine Arbeit suchen. —– Wertberichtigt Seite 8