IM INTERVIEW: MARCO FORTIS

Regierungskrise möglichst schnell beenden

Der Professor und Regierungsberater zur italienischen Wirtschaft nach 1 000 Tagen der Regierung Renzi

Regierungskrise möglichst schnell beenden

Der Universitätsprofessor und Berater von vier italienischen Regierungen Marco Fortis sieht Italiens Wirtschaft besser aufgestellt als vor der Amtszeit von Matteo Renzi.- Herr Fortis, welche Folgen hat die neuerliche Regierungskrise für Italiens Wirtschaft?Die Regierung hat während ihrer rund 1 000 Tage Amtszeit wichtige strukturelle Maßnahmen ergriffen. Diese werden dazu beitragen, die Politkrise zumindest einige Monate ohne größeren Schock zu überleben. Aber es ist offensichtlich: Je früher die Krise beendet wird, desto besser für Italien.- Man spricht bereits von vorgezogenen Wahlen im Februar oder März.Dazu muss erst ein Wahlgesetz geschaffen werden, das sowohl für die Abgeordnetenkammer wie auch für den Senat gültig ist.- Die Finanzmärkte haben bislang mit unerwarteter Ruhe auf die Regierungskrise reagiert. Worauf führen Sie das zurück?Der Ausgang der Volksabstimmung und der darauffolgende Rücktritt des Regierungschefs wurden von den Märkten bereits vorweggenommen. Die Investoren beobachten die Entwicklung in Italien. Es ist ein “Day by day”-Spiel.- Banken wie etwa Monte dei Paschi di Siena (MPS) sind die Leidtragenden der Krise. Die geplante Kapitalaufstockung muss verschoben werden, eine Staatshilfe scheint näher zu rücken. Wie sehen Sie eine Verstaatlichung der MPS?In einem normalen Land wäre MPS schon längst vom Staat gerettet worden. Im Gegensatz zu anderen Ländern, etwa Spanien, hatte die Regierung 2011/2012 keinerlei Staatshilfe für MPS beantragt. Vermutlich wurde die Tragweite der MPS-Krise nicht erkannt oder – möglicherweise – war sie nicht zu erkennen. Jedenfalls wäre damals eine staatliche Intervention einfach gewesen. Durch die lang anhaltende Wirtschaftskrise haben sich die Probleme verschärft. Eine Staatshilfe für MPS – in welcher Form auch immer – ist weder auszuschließen noch abzulehnen.- Besteht Gefahr, dass die MPS-Krise zur Systemkrise der italienischen Banken führt?Zweifellos weisen Italiens Banken mit ausfallgefährdeten Krediten von brutto 200 Mrd. Euro eine erhebliche Schwäche auf. Die faulen Kredite sind in den Bilanzen zum Teil abgedeckt und werden durch meist hochwertige Immobilien und andere Vermögenswerte garantiert. Inzwischen wurden die vier mittelitalienischen Krisenbanken mittels des Bankenresolutionsfonds in Good Banks verwandelt, die zwei Volksbanken aus Venetien wurden vom Bankenrettungsfonds Atlante gerettet. Unicredit kann sich meiner Ansicht nach durch eigene Hilfe retten. Tatsache ist, dass die Krisenbanken nur ein Zehntel des gesamten Bankensystems betreffen.- Regierungschef Matteo Renzi hat die Volksabstimmung angeblich verloren, weil die Wirtschaft nicht so gewachsen ist wie ursprünglich erhofft. Wie steht Italiens Wirtschaft nach 1 000 Tagen der Regierung Renzi da?Besser als vorher. Durch die Reformen hat sich die Situation am Arbeitsmarkt seit Regierungsantritt im Februar 2014 mit 656 000 neu geschaffenen Arbeitsplätzen verbessert, die Arbeitslosenquote ist von 12,8 auf 11,7 % gesunken. Das BIP ist während Renzis Regierungszeit nach mehrjähriger Rezession beziehungsweise Stagnation um 1,7 % gewachsen, der private Konsum um 3,3 %. Regierungsmaßnahmen wie etwa der Zuschuss von 80 Euro monatlich für Mindesteinkommen und die Abschaffung der Immobiliensteuer IMU wirkten sich positiv auf den Konsum aus. Die Investitionen wurden stimuliert und wuchsen um 2 %, die Industrieproduktion um 2,5 %. Dabei verzeichnete der Hightech Bereich – von der Pharma- bis zur Werkzeugmaschinenindustrie – ein zweistelliges Wachstum.- Doch bei den öffentlichen Finanzen wurden keine Erfolge erzielt.Im Gegenteil. Finanzminister Pier Carlo Padoan hat eine zwischen Austeritäts- und Wachstumspolitik liegende ausgeglichene Strategie eingeschlagen. Das Haushaltsdefizit wurde im Berichtszeitraum von 2,7 auf 2,3 % gesenkt, die Primärbilanz macht 4,7 % des BIP aus, und selbst die Gesamtschulden sind – so wie von Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan angekündigt – erstmals im Sinken. Die noch nicht veröffentlichten Eurostat-Daten gehen von einer Verschuldung zum Jahresende von 132,8 % des BIP aus, 1 Prozentpunkt weniger als ein Jahr zuvor.- Wie stehen Sie einer möglichen “populistischen” Regierung gegenüber?Ich bin kein Politiker. Aber bislang habe ich von den populistischen Parteien und Bewegungen kein einziges konkretes Wirtschaftsprogramm gesehen, sondern nur Schlagwörter wie etwa “Referendum über den Euro” oder aber “Mindesteinkommen für alle Italiener” gehört.—-Das Interview führte Thesy Kness-Bastaroli.