Zentralbanken

Rekordverlust für die SNB

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) erwirtschaftete im Jahr 2022 den größten Verlust in ihrer mehr als 115-jährigen Geschichte. Experten richten den Blick bereits auf die Fed und die EZB, denen Ähnliches droht.

Rekordverlust für die SNB

Von Daniel Zulauf, Zürich,

und Mark Schrörs, Frankfurt

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird für 2022 einen Jahresverlust in der Größenordnung von 132 Mrd. sfr (rund 134 Mrd. Euro) ausweisen. Das definitive Ergebnis will die Notenbank zwar erst am 22. März publizieren. Doch klar ist schon jetzt: Die SNB hat 2022 den größten Verlust seit ihrer Gründung vor mehr als 115 Jahren eingefahren. Ihr Eigenkapital beträgt jetzt weniger als 8% der Bilanzsumme.

Doch die Nachricht ist nicht ganz so schrecklich, wie sie tönt – jedenfalls nicht für die Nationalbank selbst. Tatsächlich kann eine Notenbank nötigenfalls auch mit einem negativen Eigenkapital operieren, vorausgesetzt, das Land und seine Institutionen genießen das uneingeschränkte Vertrauen der Investoren.

Für die Schweiz scheint dies eindeutig der Fall zu sein, wie die starke Franken-Nachfrage auch im vergangenen Jahr suggeriert. Die Verluste, welche die Nationalbank 2022 allein aufgrund der Aufwertung des Franken erlitten hat, belaufen sich gemäß einer Schätzung der Großbank UBS auf 30 Mrd. sfr.

Vor diesem Hintergrund könnte der Jahrhundertverlust die Arbeit des SNB-Direktoriums in nächster Zukunft sogar erleichtern. Zum zweiten Mal in der Geschichte setzt die Nationalbank nun die Gewinnausschüttung an Bund und Kantone (Länder) aus und verzichtet auf die Zahlung einer Dividende an die Aktionäre. Der Verlust hat die Ausschüttungsreserve vollständig aufgezehrt und ein hohes Bilanzminus zurückgelassen.

Vor allem die Kantone haben sich längst an satte Zusatzeinnahmen von der Notenbank gewöhnt, und die SNB lebt seit Jahren mit dem politischen Druck, hohe Gewinne erzielen und ausschütten zu müssen. Notenbankchef Thomas Jordan betont zwar unablässig, die Gewinne der Nationalbank seien nur das zufällige Ergebnis der übergeordneten Geldpolitik und der Auftrag der Nationalbank bestehe in der Sicherung der Preisstabilität und nicht im Erwirtschaften von Gewinnen.

Doch die politischen Akteure wissen natürlich, dass die immense Nationalbankbilanz langfristig er­hebliche Überschüsse produziert. Schließlich legt die SNB ihre Devisenreserven in Höhe von rund 800 Mrd. sfr nicht in den Tresor, sondern investiert sie in ertragsbringende Aktien und Obligationen. Auf diese kann es zwar bisweilen auch große Kursverluste geben, wie 2022 gesehen. Langfristig rechnet aber auch die Nationalbank selbst mit einem strukturellen Bilanzgewinn. Und dieser ergibt sich nach dem Prinzip: Je größer die Bilanz, desto größer die Erträge.

Aktuell läuft deshalb die Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative des Gewerkschaftsbundes, die das Ziel einer Finanzierung der Rentenversicherung AHV ohne Erhöhung des Rentenalters mit Hilfe von Nationalbankgewinnen verfolgt. Gut gemeinte Ratschläge erhält die Nationalbank aber auch von renommierten Ökonomen: Yvan Lengwiler, Professor an der Universität Basel, Charles Wyplosz, emeritierter Professor am Graduate Institute in Genf, und Stefan Gerlach, Chefökonom der EFG und Ex-Vizegouverneur der Central Bank of Ireland, hatten dem Noteninstitut schon vor Jahresfrist vorgeschlagen, die Devisenreserven mindestens teilweise in einen Staatsfonds zu stecken, um politischen Ballast abzuladen.

Die SNB wehrt sich nach Kräften gegen solche und andere Einmischungsversuche. Mit dem vorliegenden Jahrhundertverlust könnte sie nun immerhin stichhaltig belegen, dass die Nationalbank keine Gewinnmaschine ist und mit ihrer Bilanz sorgfältig umgehen muss. Das ist wie Wasser auf die Mühlen von Jordan & Co. Namhafte Ökonomen gehen auch für die Schweiz davon aus, dass die aufgeblähte Notenbankbilanz kein vorübergehendes Phänomen bleiben wird.

Der Rekordverlust der SNB lenkte am Montag aber auch den Blick auf andere Zentralbanken weltweit. So drohen etwa auch der US-Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank (EZB) enorme Verluste infolge der rasanten Zinswende im Jahr 2022, mit der sie auf die zu hohe Inflation reagiert hatten. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, geht davon aus, dass die Belastung für das Eurosystem im kommenden Jahr bei etwa 60 bis 80 Mrd Euro liegen dürfte und in den Folgejahren abschmilzt, so dass innerhalb von drei bis vier Jahren etwa 100 bis 120 Mrd. Euro zusammenkommen dürften. Für die Fed liegen die Zahlen in gleicher Größenordnung, bei etwa 150 Mrd. Dollar. Kater findet das „nicht bedrohlich“. Es zeige aber, dass auch die Mittel der Geldpolitik nicht unbegrenzt seien. „Wer meint, alle Krisen ließen sich beliebig durch Geld- und Fiskalpolitik wegfinanzieren, der ist schief gewickelt“, sagte Kater der Börsen-Zeitung.

Unterschiedliche Bilanzierung

Karsten Junius, Chefvolkswirt der Schweizer Bank Safra Sarasin, hob hervor, dass die SNB anders als die EZB, die zu amortisierten Kosten bilanziere, zu aktuellen Kursen be­werte. „Die Verluste werden daher viel schneller sichtbar als bei der EZB“, sagte er der Börsen-Zeitung. „Es lässt sich daher sagen, dass die SNB einfach transparent macht, was bei anderen Zentralbanken verschleiert wird“, fügte er hinzu.

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