Rifkin kritisiert fehlende Wirtschaftsstrategie

US-Ökonom fordert schnellen Wechsel zum Internet der Dinge und neue Geschäftsmodelle

Rifkin kritisiert fehlende Wirtschaftsstrategie

Von Gesche Wüpper, ParisDer amerikanische Ökonom und Zukunftsvisionär Jeremy Rifkin berät in Frankreich die Region Nord-Pas-de-Calais dabei, die dritte industrielle Revolution umzusetzen. Das älteste französische Industriegebiet, in dem die Arbeitslosenquote 12,8 % beträgt, will zugleich eine Energiewende durchführen, das Transportwesen umbauen und die Digitalisierung vorantreiben, um nachhaltiger wirtschaften zu können, neue Arbeitsplätze zu schaffen und eine kohlestofffreie Wirtschaft aufzubauen.Bei den Verhandlungen des UN-Klimagipfels in Paris habe jedoch eine solche wirtschaftliche Strategie gefehlt, kritisiert Rifkin. Dabei könne ihre Umsetzung die Art, wie die Beziehungen zu unserem Planeten gestaltet werden, komplett verändern. Er selbst befasse sich bereits seit 1973 mit Energiefragen und seit 1980 mit dem Klimawandel. “Wir dachten alle, dass wir mehr Zeit haben würden. Jetzt realisieren wir, dass wir schon so stark im Klimawandel sind, dass es keinen Weg zurück mehr gibt.”Rifkin fordert einen Paradigmenwechsel, der die Kommunikations-, Energie- und Verkehrsinfrastruktur verändert, miteinander vernetzt und so das Internet der Dinge schafft. Dabei wird die Wirtschaft in Zukunft auf den Prinzipien des Tauschens und Teilens basieren, glaubt Rifkin. Dank solcher neuen Infrastrukturen könnte der Stromverbrauch gesenkt und der Stromaustausch in einem dezentralen Netz von Produzenten und Verbrauchern ermöglicht werden. Die Energie selbst soll dabei aus erneuerbaren Quellen stammen.All das könne helfen, die aggregierte Energie-Effizienz zu steigern, meint der Ökonom. Jeder Schritt in der Produktions- und Wertschöpfungskette erfordere Energie, doch beim Umwandlungsprozess gehe ein Teil davon verloren. Zu Beginn der zweiten industriellen Revolution habe die aggregierte Effizienz bei den Umwandlungsschritten bei 3 % gelegen, erklärt Rifkin. “In den USA haben wir vor 20 Jahren 13 % an aggregierter Effizienz in der Wertschöpfungskette erreicht, in Japan 20 %. Seitdem ist die aggregierte Effizienz nicht mehr gestiegen.” Auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel stieß er mit seinen Argumenten auf offene Ohren. Deutschland sei führend bei der dritten industriellen Revolution, dem Internet der Dinge, sagt der Ökonom. Der in Deutschland oft verwendete Begriff Industrie 4.0 sei jedoch falsch – ein Marketingbegriff von Unternehmen. Vor allem bei der Umstellung auf erneuerbare Energien sei Deutschland Vorreiter, sagt Rifkin. “Deutschland dürfte 2020 schätzungsweise 35 % seiner Netzwerkenergie aus Solar- und Windenergie beziehen.” Derzeit sind es 27 %. Atomkraft hat keine ZukunftVon Atomkraft, die in Frankreich 75 % des Strombedarfs deckt, hält Rifkin dagegen nichts. “Atomkraft ist vorbei, sie kann nicht konkurrieren”, sagt er. Derzeit tragen die existierenden Atomreaktoren rund 12 % zur weltweiten Stromerzeugung bei. “Dieser Anteil müsste mindestens 20 % betragen, um den Klimawandel beeinflussen zu können. Dafür aber müssten die existierenden Atomkraftwerke durch neue ersetzt und ihre Anzahl gleichzeitig verdoppelt werden”, meint Rifkin. Dabei sieht er zwei Probleme: So sei die Frage, wie Atommüll sicher gelagert werden könne, nicht gelöst. “Außerdem haben wir nicht genügend Wasser, um so viele Atomkraftwerke betreiben zu können. Aber niemand spricht über dieses Problem.”Für Rifkin steht fest, dass Energieversorger jetzt ein neues Geschäftsmodell aufbauen müssen. “Noch vor zehn Jahren wirkten die vier deutschen Energieriesen unbesiegbar, doch jetzt passiert mit ihnen das, was schon mit der Musikindustrie, mit Zeitungen und Buchverlagen geschehen ist”, sagt er. “Ihre neue Aufgabe wird sein, weniger Elektrizität zu verkaufen und stattdessen dabei zu helfen, die Elektrizitätsgrids zu digitalisieren und im neuen Energie-Internet Dienstleistungen zu managen.” Ebenso müssten auch die Autobauer neue Geschäftsmodelle vorbereiten, denn die neuen Generationen träumen laut Rifkin nicht mehr davon, ein eigenes Auto zu haben. “Das neue Geschäftsmodell, das Autobauer mittel- und langfristig adaptieren werden, wird sich darauf konzentrieren, digitalisierte, automatisierte, GPS-geleitete, fahrerlose Transport- und Logistik-Netzwerke für Straßen, Schienen, Wasser und Luft zu errichten, zu aggregieren und zu managen”, prophezeit er.