Türkische Geldpolitik

Riskante Machtdemonstration

Erdogans Volten in der Geldpolitik sind mittlerweile so abenteuerlich, dass die Lirakrise nicht mal mehr auf andere Schwellenländer übergreift.

Riskante Machtdemonstration

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat das neuerliche Armdrücken mit den Devisenhändlern auf die Spitze getrieben. Nach dem für die Lira verhängnisvollen Rausschmiss des Zentralbankchefs Naci Agbal feuerte er zehn Tage später auch den bisherigen Stellvertreter Murat Cetinkaya und ersetzte ihn durch den früheren Morgan-Stanley-Banker Mustafa Duman. Somit hat Erdogan die gesamte Führung der Notenbank just in dem Moment fallenlassen, als diese auf gutem Wege schien, dringend notwendiges Vertrauen in die Geldpolitik der Türkei wiederherzustellen.

Erdogans Gebaren ist erratisch, sein Timing abenteuerlich. Keine fünf Monate nachdem die nicht minder überraschende Ernennung Agbals die Talfahrt der Lira stoppte und an den Märkten Hoffnung auf eine währungspolitische Wende zum Besseren keimte, vollzieht Erdogan die nächste unvorhergesehene 180-Grad-Wende. Es wirkt, als wolle er aller (Finanz-) Welt seine uneingeschränkte Macht demonstrieren. Aus seiner abermaligen Volte können Marktteilnehmer und Analysten nur die Erkenntnis ziehen, dass jede Hoffnung auf eine unabhängige, am volkswirtschaftlichen Lehrbuch ausgerichtete Geldpolitik illusorisch ist, solange Erdogan regiert – inklusive aller Risiken und Nebenwirkungen für die Landeswährung, die gestern um weitere 2% zum Dollar absackte und keine Aussicht auf eine baldige Erholung hat.

Auffällig ist: Anders als in früheren Währungskrisen hat der von Erdogan wieder einmal billigend in Kauf genommene Schwächeanfall der Lira bislang kaum ansteckende Wirkung auf andere Schwellenländer. 2018 breitete sich die – schon damals wirtschafts- und währungspolitisch heraufbeschworene – Lirakrise zu einem Flächenbrand im Schwellenländeruniversum aus. Als im vorigen Jahr das gesellschaftliche wie wirtschaftliche Drama der Pandemie weltweit seinen Lauf nahm, ergriffen Anleger auf breiter Front die Flucht, ohne Unterschiede zwischen den Schwellenländern zu machen. Inzwischen kristallisiert sich die Türkei immer mehr als Sonderfall heraus, und das aus guten Gründen. So haben Währungshüter in anderen führenden Schwellenländern wie Brasilien und Russland unbehelligt die Zinswende eingeleitet nach dem Motto: Lieber etwas zu früh zu stark straffen, als in eine Abwertungsspirale zu geraten.

Diese Devise hatte sich auch Naci Agbal in der Türkei im Kampf gegen anhaltend zweistellige Inflationsraten bei aufgezehrten Währungsreserven zu Herzen genommen – und so konsequent umgesetzt, dass es Erdogan zu bunt wurde. Zum dritten Mal binnen 20 Monaten schmiss der Staatspräsident seinen obersten Währungshüter raus. Der selbsterklärte Zinsfeind verlor die Geduld, bevor Agbals entschiedene Zinserhöhungen ihre Wirkung entfalten konnten. Dabei dürften Sonderfaktoren wie höhere Energiekosten vorerst für anhaltenden Preisdruck sorgen. Die begründete Sorge ist nun, dass die Inflation davongaloppiert, sollte die Notenbank unter Führung des Erdogan-Loyalisten Sahap Kavcioglu Mitte April eine noch so geringe, symbolisch dafür umso bedeutsamere Leitzinssenkung vornehmen.

Schneller, als die größten Skeptiker prophezeit haben, bewahrheitet sich die Ahnung von Analysten und Beobachtern: Die Präsidentschaftswahlen 2023 am Horizont, markiert Erdogan mehr denn je den starken Mann. Das gilt nicht bloß für die Wirtschafts- und Währungspolitik. Öffentlichkeitswirksam und unter internationalem Aufschrei zieht Erdogan sein Land aus der Völkerrechtskonvention zum Schutz von Frauen zurück. Innenpolitisch lanciert er ein Verbotsverfahren gegen die wichtige Oppositionspartei HDP, Stimme der Minderheit der Kurden im Land. Außenpolitisch schürt er den Konflikt mit Griechenland und der Europäischen Union über den Zugang zu Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer, um die Türkei unabhängiger von Energieimporten zu machen. Erdogans übergeordnetes Kalkül dieser jüngsten, scheinbar zusammenhanglosen Vorgänge ist, seine islamisch-konservative Anhängerschaft hinter sich zu versammeln.

Die positive Konjunkturlage wird Erdogan in seinem Kurs bestärken: Die türkische Wirtschaft ist so glimpflich durch die Coronakrise gekommen wie kaum eine Volkswirtschaft. Die Fortsetzung der durch einen Kreditboom befeuerten Erholung will Erdogan mit höheren Schulden und stärkerer Inflation erkaufen. Das ist angesichts hoher Fremdwährungsschulden in den Büchern von Unternehmen und Banken eine riskante Wette, wenn zugleich eine taumelnde Lira den Schuldendienst erschwert. Erdogan balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Machtdemonstration und Allmachtsfantasien.