Erfolge in Landwirtschaft und Tourismus

Russland hinkt bei der Substitution westlicher Importe noch hinterher

Mit jedem Schritt zunehmender Isolation wird die Frage virulenter, wie Russland bei der Importsubstitution vorankommt. Was ist in zehn Jahren seit der Krim-Annexion gelungen? Wie sehr wurde der Prozess durch den Krieg beschleunigt? Und wie qualitativ ist "Made in Russia" inzwischen schon?

Russland hinkt bei der Substitution westlicher Importe noch hinterher

Russland hinkt bei der Substitution westlicher Importe noch hinterher

Erfolge in Landwirtschaft, Tourismus und Dienstleistungen − Potenzial in der Industrie ausgeschöpft

Von Eduard Steiner, Moskau

Wegen der Isolation infolge des Ukrainekriegs und der Sanktionen steht Russland unter Druck, gerade den Import aus dem Westen zu substituieren. Vor zehn Jahren, nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, hat man damit begonnen. Nun ist es zu einer Frage des Überlebens geworden.

Ginge es nur um Gin, die Sache wäre geritzt. Nicht nur, dass sich dessen Konsum in Russland in den vergangenen fünf Jahren verfünfeinhalbfacht hat. Die Nachfrage ließ auch die lokale Produktion aufblühen. Heute stelle praktisch jede Alkoholfabrik ihren eigenen Gin her, sagte ein Experte dieser Tage zum Wirtschaftsmedium RBK. Bei weitem nicht in allen Bereichen läuft es mit der eigenen Produktion als Ersatz für den Import so glatt. Die technologisch komplexen Komponenten des russischen E-Autos „Atom“ etwa, dessen Produktion 2025 starten soll, sollen in China oder in Kooperation mit chinesischen Firmen hergestellt werden, schrieb kürzlich die Zeitung „Wedomosti“ unter Berufung auf den russischen „Atom“-Entwickler. Es sei entweder unmöglich oder sehr teuer, die Produktion in Russland zu organisieren, und es werde sehr lange dauern.

Wie viel ist also wirklich gelungen? Einen der größten Erfolge zeigt die Landwirtschaft. Die inländische Produktion stieg hier insbesondere durch das Importembargo auf westliche Agrarprodukte, das 2014 als Reaktion auf die westlichen Sanktionen verhängt worden war. „In vielen landwirtschaftlichen Bereichen ist Russland heute autark“, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), zur „Börsen-Zeitung“: Gewiss, Preis und Qualität entwickelten sich nicht im Gleichschritt. Gerade am Anfang kam es zu massiven Verteuerungen. So läuft es auch bei den Dienstleistungen und im Tourismus, der seit Beginn des Ukrainekrieges boomt, weil Auslandsreisen extrem kompliziert und teuer geworden sind. Schon das dritte Jahr in Folge wachse der Binnentourismus um 40%, sagt Wladislaw Inosemcev, Chef des Moskauer Zentrums zur Erforschung der postindustriellen Gesellschaft, zur „Börsen-Zeitung“. So seien Zugtickets von Moskau in die baltische Exklave Kaliningrad auf acht Monate ausgebucht. „Eine riesige Anzahl an Hotels und touristischen Dienstleistungen entsteht, hier wird der Import völlig substituiert“.

Erfolge bei Dienstleistern und Tourismus

China steht hoch im Kurs

Ähnliches konstatiert Inosemcev bei billigen Konsumartikeln, wo der Weggang westlicher Firmen zur Eigenständigkeit zwang. Insgesamt sei die Situation aber so: „Überall, wo die Nachfrage groß ist und die Produktion billig und leicht, werden Importe substitutiert. Wo es komplizierter wird, beginnt die staatliche Propaganda, um zu beteuern, dass Russland niemanden brauche. In Wahrheit kauft man dann bei den Chinesen ein.“

Und wie sieht das bei der Industrie aus? Wie die Moskauer Higher School of Economics (HSE) in ihrer im Juni publizierten Umfrage unter mehr als 1.000 Unternehmen in 30 russischen Regionen eruierte, hat ein bedeutender Teil der Unternehmen 2023 die Importabhängigkeit reduziert. Hatten für das Jahr 2022 etwa bei Industrieanlagen noch 18% der befragten Firmen eine sehr hohe und 47% eine hohe Importabhängigkeit angegeben, so für 2023 nur noch 8% bzw. 35%. Insgesamt sprachen 5% der Industrieunternehmen von einer noch sehr hohen und 20% von einer hohen Importabhängigkeit, 44% von einer mittleren und 28% von einer niedrigen.

Fortschritte in der Industrie...

Der in der Umfrage zutage tretende Optimismus sei aber etwas trügerisch, schreibt die Expertenplattform Re:Russia in einer Analyse der HSE-Daten: Die Firmen hätten in einer ersten Reaktion den Import dort ersetzt, wo es heimische Konkurrenzwaren gegeben habe, die zuvor wegen des schlechteren Preis-Leistungs-Verhältnisses mit dem Import nicht hatten mithalten können. Nun aber sei das Potenzial der billigen Importsubstitution erschöpft. Am stärksten werde sie im staatlichen militärischen Sektor vorangetrieben. Und in manchen Sektoren werde heimische Produktion vorgetäuscht, indem man nun statt fertiger Produkte Komponenten importiert und im Inland zusammenbaut. Die Sache hat aber einen Haken, wie kürzlich ein Manager des LKW-Herstellers Kamaz auf einem Wirtschaftsforum sagte: Allein die Materialien seien in Russland teurer als fertige ausländische Erzeugnisse.

... zumindest scheinbar

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