Sánchez` kleine Brötchen
So manch ein Zuschauer der spanischen Fernsehnachrichten musste sich am Montag wohl in den Arm kneifen beim Anblick der Bilder von Pedro Sánchez, wie er vor dem Sitz des Ministerpräsidenten seinen Amtskollegen aus der Ukraine, Petro Poroschenko, empfing. Es war der erste Staatsbesuch für den neuen Regierungschef Spaniens, der letzten Freitag durch das Misstrauensvotum gegen den Konservativen Mariano Rajoy an die Macht gelangt war. Der Regierungswechsel kam so plötzlich, dass die Beteiligten und das Publikum noch gar nicht richtig verarbeitet haben, was geschehen ist. Für Sánchez kann diese Situation eine Chance sein. Denn die Erwartungen an den Sozialisten sind dementsprechend eher gering. Normalerweise hat ein Oppositionspolitiker, der an die Macht kommt, ein schweres Bündel von vollmundigen Wahlversprechen zu tragen. Sánchez wurde dagegen nicht wegen seines Programms zum Ministerpräsidenten gemacht. Er verdankt den Karrieresprung allein der Korruption in der Volkspartei seines Vorgängers Mariano Rajoy, der die übrigen politischen Kräfte gegen sich aufbrachte. Der neue Regierungschef wäre jetzt gut beraten, den Ball weiter flach zu halten, zumal seine Sozialisten mit nur 84 der 350 Abgeordneten im Unterhaus und einem von den Konservativen kontrollierten Senat keine großen Sprünge machen können. Es ist daher nicht abzuschätzen, wie lange Sánchez sich überhaupt im Amt behaupten kann und will. Man kann aber davon ausgehen, dass der Sozialist mindestens bis Mai nächsten Jahres aushalten möchte, wenn neben den Wahlen zum Europaparlament auch noch in der Mehrheit der spanischen Regionen und allen Gemeinden gewählt wird. Bis dahin wird Sánchez dem Wähler freilich etwas vorweisen müssen. Einige wichtige Schritte sind durchaus machbar, etwa die Reform des Staatsrundfunks, um diesen der Kontrolle der jeweiligen Regierung zu entziehen, oder die Rücknahme der umstrittenen Teile eines Gesetzpakets der Volkspartei, das die Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschneidet. Diesen Maßnahmen können sich die liberale Ciudadanos und die Nationalisten kaum entziehen, so dass zusammen mit den Stimmen der Linkskoalition Unidos Podemos eine breite Mehrheit im Parlament zustandekommen sollte.Im Konflikt mit der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien wird Sánchez mittelfristig wohl kaum einen Durchbruch schaffen. Aber er kann ein neues Kapitel einleiten, indem er den Ton entschärft. Das erwartete Treffen zwischen Sánchez und dem neuen Ministerpräsident Kataloniens Quim Torra könnte mehr als nur ein Fototermin werden, auch wenn sich im Kern der Sache erst einmal nichts ändert. Schließlich hat Sánchez Spielraum bei der nicht zu unterschätzenden Symbolpolitik. Das gilt für die Gleichberechtigung von Frauen – das Kabinett soll paritätisch besetzt werden – oder der Aufbereitung von Verbrechen der Franco-Diktatur. Der Sozialist schafft den Posten des Sonderbeauftragten für den Kampf gegen Kinderarmut, bei der Spanien in Europa im Tabellenkeller steht. Ein lobenswertes Vorhaben, aber dort fangen die Probleme an. Denn in der Wirtschaftspolitik sind Sánchez durch seine prekäre Lage im Parlament die Hände gebunden. Die Aufweichung der Arbeitsmarktreform von Rajoy dürfte ebenso keine Mehrheit finden wie Pläne für die Einführung einer Sondersteuer für die Banken. Für höhere Sozialausgaben bräuchte Sánchez einen eigenen Haushalt. In der Debatte zum Misstrauensvotum lud er die übrigen Parteien dazu ein, den Finanzplan für 2019 zu verhandeln. Doch das ist schwer vorstellbar. Die katalanischen und baskischen Nationalisten konnten letzte Woche gar nicht anders, als gegen Rajoy zu stimmen. Doch die Zustimmung für einen Haushalt der Sozialisten würden sie sicherlich sehr teuer verkaufen, mit möglicherweise unzumutbaren Forderungen an Sánchez. Der neue Ministerpräsident könnte den vom Unterhaus beschlossenen und von Brüssel abgesegneten Haushalt 2018 verlängern und sich so ins nächste Jahr retten. Doch die schwer verletzten Konservativen haben nun angekündigt, ihren eigenen, erst vor Tagen nachträglich verabschiedeten Haushalt im Senat so abzuändern, dass er für Sánchez nicht mehr tragbar wäre. Die Zeichen stehen daher eher auf eine kurze Amtszeit des 46-jährigen Ökonomen. Die Märkte erwarten kurzfristig keine wesentliche Kursänderung in der Wirtschaftspolitik. Sánchez sollte die Erwartungen rhetorisch nicht zu sehr nach oben schrauben und sich auf ein paar nützliche, konsensfähige Maßnahmen beschränken, bevor er sich dem Urteil der Wähler stellt.—–Von Thilo SchäferIn der Wirtschaftspolitik sind Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez durch seine prekäre Lage im Parlament die Hände gebunden.—–