Schärfere Steuerwaffen vom Arsenal in Venedig
Von Angela Wefers, Berlin
Es war für Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Venedig noch einmal ein Auftritt auf der großen Weltbühne, bevor er nach dem Urlaub von den bayerischen Bergen als SPD-Kanzlerkandidat in die Niederungen des deutschen Bundestagswahlkampfs hinabsteigt. Die Kulisse der Serenissima hätte schöner nicht sein können für die historische Einigung auf ein neues globales Unternehmenssteuerregime: Bei blauem Himmel, strahlender Sonne, glitzerndem Wasser und beschützt von imposanten Militärbooten der Guardia di Finanza trafen die Finanzminister der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer – der G20 – auf dem „Arsenale“ zusammen. Vom 12. Jahrhundert an ließen die Dogen von Venedig dort Kriegsgerät und Galeeren im Akkord bauen. 2021 verständigten sich die Finanzminister der G20 auf neue Waffen der internationalen Besteuerung – auf eine globale Mindeststeuer von 15% und darauf, die Steuern auf Gewinne hochprofitabler Unternehmen wie der US-Tech-Giganten künftig so zu verteilen, dass Absatzländer stärker profitieren.
Szenenapplaus habe es nach der Zustimmung im Plenum der G20 gegeben, schilderte Scholz den Erfolgsmoment, den er auch für sich persönlich reklamiert. Der SPD-Politiker hatte sich für eine globale Lösung eingesetzt, um große Digitalunternehmen wie Google, Apple, Facebook oder Amazon auch in Absatzländern einer spürbaren Besteuerung zu unterwerfen und einen Flickenteppich nationaler Steuerregelungen zu bremsen. Das aktuelle Steuerrecht knüpft an eine Betriebsstätte oder Niederlassung vor Ort an, die Anbieter digitaler Dienstleistungen aber nicht benötigen. Deshalb gehen sie weitgehend leer aus. Nur Sitzländer profitieren.
Die nationalen Digitalsteuern, die einige Länder bereits eingeführt haben, hatte die Administration von Ex-US-Präsident Donald Trump als gezielten Angriff auf amerikanische Unternehmen gewertet und gezetert. Frankreich setzte daraufhin die Erhebung seiner Digitalsteuer aus. Die neue US-Regierung von Präsident Joe Biden nahm den von Trump zerrissenen Gesprächsfaden im Kreis der 139 unter OECD-Führung beteiligten Länder wieder auf.
Mit einem gezielten Vorschlag machten die USA auch den Weg für die Einführung einer Mindeststeuer frei. Das Herzensprojekt von Scholz, das er initiiert und vorangetrieben hatte, soll den Steuerwettlauf der Länder nach unten stoppen. Hilfreich ist, dass die neue US-Regierung im Herbst selbst höhere Unternehmenssteuern einführen will. US-Finanzministerin Janet Yellen gab Scholz in Venedig die Ehre eines gemeinsamen Presseauftritts. So konnte er Augenhöhe mit den USA demonstrieren.
Der globale Konsens für eine konsistente Besteuerung von digitalen Leistungen ist zentral, um Abwehrmaßnahmen und Tendenzen zu einem neuen Handelskrieg zu verhindern. Die finanziellen Auswirkungen des Projektes, das bislang nur rund 100 hochprofitable Konzerne mit einem Umsatz von 20 Mrd. Euro und mehr erfasst, sind überschaubar. Rund 100 Mrd. Dollar Steuersubstrat sollen dadurch verschoben werden, erwartet die OECD. Die Mindeststeuer, die bei Unternehmen mit einem Umsatz ab 750 Mill. Euro greift, soll weltweit zu rund 150 Mrd. Dollar mehr Aufkommen führen, so die OECD-Prognose. Für Deutschland ist der Effekt leicht positiv, die Auswirkung sind aber minimal. Bezogen auf das Gesamtaufkommen liegt das Plus laut einer Modellrechnung bei 0,1%, bezogen auf das Unternehmenssteueraufkommen bei knapp 1%.
Europa braucht eine einheitliche Lösung, die den globalen Konsens umsetzt und Steuern der Nationalstaaten kassiert. Nur so wird das Projekt eine Chance haben, den US-Kongress zu passieren. Bis zum nächsten Treffen der Minister im Oktober werden bei der OECD technische Details des Steuerdeals ausgearbeitet. Wer dann für Deutschland nach der Bundestagswahl das Ergebnis feiert, ist offen. Scholz verhandelt im günstigsten Fall eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP, wenn die Klimapartei weiter schwächelt und die SPD aufholt. Oder er ist von der Weltbühne abgetreten und leckt die Wunden einer für die SPD verlorenen Wahl.