Schlammschlacht um Johnsons Amt
hip London
Die Zahl der Bewerber um das Amt des Tory-Parteichefs hat weiter zugenommen. Mittlerweile haben sich elf führende Politiker der Regierungspartei gemeldet. Der „Spectator“ hat bereits eine Liste erstellt, die zeigt, wie viele Unterstützer aus der Parlamentsfraktion die jeweiligen Kandidaten auf sich vereinigen können. Der ehemalige Schatzkanzler Rishi Sunak liegt mit 37 vorn, gefolgt von Handelsministerin Penny Mordaunt mit 21 und Außenministerin Liz Truss mit 15. Sunaks Nachfolger Nadhim Zahawi konnte bislang 13 Abgeordnete überzeugen – ebenso viele wie die vor ihrem Rücktritt für das Thema Gleichstellung zuständige Staatssekretärin Kemi Badenoch.
Beschleunigter Prozess
Das für die Wahl des Nachfolgers von Boris Johnson zuständige 1922-Komitee berät über Möglichkeiten zur Beschleunigung des Auswahlprozesses. Dazu gehört die Idee, die Zahl der erforderlichen Unterstützer von bislang acht auf einen deutlich höheren Wert anzuheben, um möglichst schnell einen neuen Premierminister präsentieren zu können. Dass sich ständig neue Bewerber outen, unterstreicht die Dringlichkeit einer Reform. Wie der „Telegraph“ berichtet, kontaktierte auch der prominente Brexiteer Jacob Rees-Mogg Abgeordnete, um seine Chancen als „Pro-Boris-Kandidat“ zu sondieren. In der Parteirechten wächst unterdessen die Besorgnis, dass es keiner ihrer Kandidaten unter die letzten zwei schaffen wird, zwischen denen sich die Parteibasis am Ende entscheiden muss.
Der Auswahlprozess entwickelte sich schnell zur Schlammschlacht. Ein mehr als 20 Jahre altes Video von Rishi Sunak machte die Runde, in dem er sagt, er habe zwar Freunde aus dem Adel und der Oberschicht, aber nicht aus der „Arbeiterklasse“. Sein Nachfolger Nadhim Zahawi musste sich mit Berichten über angebliche Ermittlungen der Steuerbehörde HMRC gegen ihn auseinandersetzen. Manche Beobachter sahen bereits Johnsons ehemaligen Chefstrategen Dominic Cummings am Werk, der noch ein paar Rechnungen zu begleichen und durchaus einen großen Fundus an belastendem Material auf Lager haben könnte.
Hauptthema der bisherigen Debatte waren steuerliche Erleichterungen. Während sich Sunak bemühte, sich als Vertreter einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik zu präsentieren, ergingen sich seine Rivalen in Steuersenkungsversprechen. „Gehen wir diesen Moment mit Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit an, oder erzählen wir uns tröstliche Märchen, die uns im Augenblick ein besseres Gefühl geben, aber unsere Kinder in eine schlechtere Lage versetzen?“, fragte Sunak in einem Werbevideo. Er kandidiere, weil jemand jetzt „die richtigen Entscheidungen“ treffen müsse.
Sein Nachfolger Zahawi versprach unterdessen, die Mehrwertsteuer und grüne Abgaben auf Energierechnungen privater Haushalte für zwei Jahre auszusetzen, sollte er das Rennen machen. Er kündigte zudem an, die für 2024 geplante Senkung des Eingangssteuersatzes bei der Einkommensteuer von 20 % auf 19 % um ein Jahr vorzuziehen. Zudem hat er eine Rücknahme der Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge und einen Verzicht auf die geplante Erhöhung der Körperschaftsteuer von 19 % auf 25 % im Programm. Haushalte hätten dadurch im Schnitt 900 Pfund mehr Geld in der Tasche. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt werde das Steueraufkommen unter seiner Führung Jahr für Jahr fallen, sagte Zahawi.
Auch Sunaks Vorgänger Sajid Javid, der sich bislang gegen Steuersenkungen ausgesprochen hatte, will den Eingangssteuersatz früher reduzieren und auf die höhere Unternehmensbesteuerung verzichten.
Unterdessen droht der britischen Wirtschaft Ungemach: Wie die Gewerkschaft Aslef mitteilte, sprachen sich die Lokführer von acht Bahngesellschaften mit großer Mehrheit und bei sehr hoher Wahlbeteiligung für einen Arbeitskampf aus. Das Ergebnis einer Urabstimmung der Gewerkschaft TSSA beim Netzbetreiber Network Rail wurde noch nicht mitgeteilt.