Schnabel hält länger höhere Inflation für möglich
ms Frankfurt
Die Inflationsraten im Euroraum könnten nach Einschätzung von EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel auch im kommenden Jahr noch erhöht bleiben – wenn auch nicht auf den aktuellen Niveaus. „Es wäre voreilig, zu behaupten, dass die derzeitige Preisdynamik nächstes Jahr völlig abklingen wird“, sagte Schnabel am Donnerstag. Es gebe mehrere Quellen der Unsicherheit, die einen länger andauernden Inflationsdruck mit sich bringen könnten. Dazu gehörten möglicherweise veränderte Inflationserwartungen der Bürger. Die EZB müsse zudem genau beobachten, wie sich das Thema des erhöhten Preisdrucks in den Lohnrunden niederschlage, so Schnabel.
Die Aussagen dürften Einschätzungen untermauern, dass zumindest bei einigen Euro-Notenbankern das Unbehagen über die unerwartet hohe Inflation zunimmt. Die Teuerung im Euroraum ist im September auf 3,4% geklettert – der höchste Stand seit September 2008. In den nächsten Monaten könnte sie gar die Marke von 4% knacken – wie überhaupt erst einmal in einem einzigen Monat seit der Euro-Einführung. Die EZB hält den Inflationsanstieg bislang vor allem für vorübergehend. EZB-Chefin Christine Lagarde hatte erst am Dienstag erneut vor einer Überreaktion auf die hohe Inflation gewarnt. Allerdings nehmen auch kritischere Stimmen zu.
So hatte am Montag etwa EZB-Vizepräsident Luis de Guindos zwar grundsätzlich die Einschätzung eines vorübergehenden Phänomens untermauert. Zugleich betonte er aber, dass einige der Ursachen – etwa Versorgungsengpässe und höhere Energiekosten – „strukturelle“ Auswirkungen haben könnten. Die „Wahrnehmung der Inflation“ könne sich mit der Zeit ändern. Die EZB müsse insbesondere Zweitrundeneffekte über die Löhne im Blick haben.
Diese Argumente wiederholte nun auch Schnabel. Besonders bemerkenswert ist das auch deshalb, weil sie in der jüngeren Vergangenheit wiederholt gesagt hatte, dass mittelfristig das größere Risiko sei, dass die Inflation unterhalb des 2-Prozent-Ziels liege. Zwar sagte sie auch am Donnerstag, dass es bislang keine Anzeichen gebe, dass sich die erhöhte Inflation über Zweitrundeneffekte verfestige. Trotzdem mahnte sie eben auch sehr klar zur Vorsicht.
Vor Schnabels Wortmeldung hatte Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau dagegen erneut betont, dass er bereits 2022 eine Entspannung erwarte. „Die Inflation dürfte weitgehend binnen eines Jahres wieder unter 2% fallen“, sagte er auf einer Wirtschaftskonferenz.
„Möglicher Regimewechsel“
Auch das am Donnerstag veröffentlichte Sitzungsprotokoll der EZB-Ratssitzung von September bestätigt eine inzwischen etwas ausgeglichenere Sicht auf die Inflation. So wurde bei der Sitzung darauf hingewiesen, dass sowohl die Gesamt- als auch die Kerninflation im Vergleich zu den jüngsten Projektionen unerwartet hoch ausgefallen sei. „Dies schüre Zweifel daran, wie gut die den Projektionen zugrundeliegenden Modelle in der Lage seien, das aktuelle Geschehen in der Wirtschaft, die strukturellen Veränderungen infolge der Pandemie und die Auswirkungen der neuen geldpolitischen Strategie der EZB zu erfassen“, heißt es in dem Protokoll. Sogar von einem „möglichen Regimewechsel“ ist die Rede.
Mit Blick auf die im September beschlossene moderate Reduzierung des Kauftempos beim Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP gab es bei der Sitzung Forderungen nach einer stärkeren wie nach einer geringeren Reduzierung.
Bloomberg berichtete unterdessen, dass es in der EZB Überlegungen gebe, bei einem Auslaufen von PEPP im März 2022 ein neues Anleihekaufprogramm aufzulegen. Das neue Programm solle wie eine Versicherung wirken für den Fall, dass das Ende des PEPP zu einer Flucht aus Peripherie-Bonds führen sollte. Neu an dem Programm wäre vor allem eine Vorkehrung, die den Ankauf unabhängig vom Kapitalschlüssel der EZB erlauben würde. Das gilt aber als kritisch. Ein EZB-Sprecher verwies darauf, dass auf unteren Ebenen derzeit viele Optionen diskutiert würden.